Freitag, 15.07.2005 | Trenker’s World – total verbaut?

Von der Traumlandschaft zur „Destination“ – wie Bauwut statt Baukultur 9000 Jahre Besie-delung des Grödnertals in einem Vierteljahrhundert ad absurdum führte. Wie kann es weiter-gehen?

Auf den Almen der Dolomiten wurden mittelsteinzeitliche Jägerrastplätze gefunden, die eine Erstbesiedelung des Grödnertals um 7000 v. Chr. annehmen lassen. Das milde Klima zwi-schen 800 und 1200 n. Chr. begünstigte die Errichtung von Schwaigen mit Feldbestellungen bis 2000 m Höhe, die aber durch den Rückgang der Temperaturen ab dem 15. Jht. aufgege-ben werden mussten. Danach bildeten sich die Wirtschafts- und Bebauungsformen heraus, die bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts das Erscheinungsbild des Grödnertals be-stimmten. Im Grödnertal wurden Ein- und Paarhöfe in klar umgrenzten Fluren angelegt. Die Giebelfronten dieser Höfe waren stets talwärts gerichtet. Sie besaßen ein gemauertes Un-tergeschoss mit eigenem, talseitigen Zugang in die Lagerräume. Darüber breitete sich unter dem Satteldach der hölzerne Söller des Wohngeschosses, der seitlich zugänglich war. Der mehrgeschossige hölzerne Stadel wies auf der Talseite unter dem weit vorspringenden Dach das typische Gestänge der früher frei stehenden Harpfen zum Trocknen der Ernte auf.

Bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ging die Landwirtschaft neben dem be-scheidenen Handel und der Holzschnitzkunst deutlich zurück. Die Jungen verließen die hochgelegenen Höfe um gut bezahlte Arbeit im sich rasch entwickelnden Fremdenverkehr zu finden. Viele der Höfe begannen leer zu stehen, in anderen hausten bis in die 80er Jahre noch alte, einsame Menschen. Heute ist die alte bäuerliche Lebensart weitgehend ver-schwunden. Die Höfe wurden als Zweitwohnsitze verkauft oder abgerissen und durch neue Wohnhäuser oder Pensionen ersetzt. Die verbliebene Landwirtschaft ist weitgehend mecha-nisiert. Damit verschwand eine Lebensweise, die bei aller von außen empfundenen Schön-heit der Kulturlandschaft und der Romantik traditioneller Höfe von harter Arbeit und Not, Kin-derreichtum und Entbehrungen sowie spärlichen Vergnügungen an den seltenen Markt- oder Feiertagen geprägt war. Die Sagen über Hexen, Drachen und Spuk, die zu Furcht und De-mut vor der Natur erzogen, gerieten in Vergessenheit.

Luis Trenker wuchs noch in dieser Welt auf und arbeitete Anfang der 20er Jahre mit Cle-mens Holzmeister als Architekt in Bozen. Aus dieser Zeit stammt noch das durch Erweite-rungen inzwischen bis zur Unkenntlichkeit entstellte Hotel Adler in St. Ulrich. Infolge der Be-rufsbehinderung durch die italienischen Faschisten ging Holzmeister nach Wien und entwarf dort seine im Alpenraum vorbildlichen Bauten während Trenker mit dem Medium Film das Grödnertal weithin bekannt machte. Nicht zuletzt dadurch entwickelte sich hier der Touris-mus als neue Lebensgrundlage. Aus der alten Zeit wurde nur die Holzschnitzkunst herüber-gerettet, wenngleich oft als industrielle Massenware von zweifelhaftem künstlerischen Wert.

Geblieben ist Fleiß und Geschäftssinn – zwei Eigenschaften der Grödner, die sie in harten Zeiten zum Durchkommen benötigten. Zusammen mit wenig selbstkritischer Einsicht kennt die touristische Vermarktung offenbar keine Grenzen. Der größte Wander- und Skizirkus des Alpenraumes ist um das Grödnertal entstanden. Superski-Dolomiti und Sella-Runde lassen aus der Sicht derer, die Ski-Total möchten, keinen Wunsch offen. Vor allem für die italieni-schen Gäste ist das Grödnertal offenbar zum Inbegriff Tiroler Stils, Lebensart und Bauweise geworden. Manch Liebhaber des Tales wendet sich indessen mit Grausen vor einer bauli-chen Entwicklung, die keine Rücksicht mehr auf echte Tradition, schützenswerte Ensembles, Naturschönheiten oder eine umfassende und ökologisch nachhaltige Raumordnung zu neh-men scheint. Gute Architekten, die sonst in Südtirol durchaus sehenswerte Architektur ge-schaffen haben, scheinen im Grödnertal keine Aufträge zu erhalten. Die Zeitschrift „Bell’Italia“ stellte 2004 ein in romantische Kodakfarben getauchtes, tief verschneites Gröd-nertal ohne störende Bebauung vor. Selbst der traditionsreiche Altbauteil des Hotels Post in St. Ulrich steht da noch – in diesen Tagen ist das schöne alte Haus der Abrissbirne zum Op-fer gefallen.

Nach Jahren mit wenig Schnee und einem fast schneelosen Winter 2005 muten diese Bilder wie eine grobe Täuschung des Gastes an. Kommt er aus dem Eisacktal, so empfängt ihn kurz vor St. Ulrich ein abstrus hässliches Gewerbegebiet, durchsetzt mit fabrikmäßigen Holzschnitzereien. Ab da lässt ihn der zusammenhängende Siedlungsbrei bis fast unter das Grödnerjoch nicht mehr los: St. Ulrich, St. Christina und Wolkenstein sind zu einem gesichts-losen Vorstadtband mit enormen Verkehrsproblemen zusammengewachsen. Die sich immer wiederholenden pseudoalpinen Baudetails einer oft türmchenverzierten Allerweltsarchitektur „al tirolese“ stumpfen das Auge für die lapidare Qualität der wenigen erhaltenen originalen Häuser ab. Sie stehen verloren zwischen den vielfach maßstabslosen Neubauten der Touris-tenkulisse. Im Frühjahr und ohne vermittelndes Grün, wirkt alles noch härter, chaotischer und mit Asphaltflächen übererschlossen. Fast alle Gäste sind dann abgereist, die meisten Hotels geschlossen, die Rollläden der Ferienwohnungen heruntergelassen. In der staubigen, seit Wochen ausgetrockneten Landschaft wirken die Reste der Kunstschneepisten mit den riesi-gen, jetzt leeren Parkplätzen an den Talstationen geradezu pervers. Der Verdacht drängt sich auf, das die Gäste des Grödnertals die Zerstörung eines der schönsten Alpentäler gar nicht mehr wahrnehmen, sondern die Hotels, Pensionen und Apartmenthäuser nur noch als Basis-Camp für eine riesige Sportarena im Dolomitenformat betrachten.

Was wird denn werden, wenn das derzeitige Angebot aus Superski, Felsklettern, Paragli-ding, Nordic-Walking und ausgelassenem Après-Ski der eventgeilen Schicki-Micki-Sport-Society aus Mailand und München ausgelutscht erscheint und die Karawane zur nächsten „Destination“ weiterzieht? Wer wird den Zivilisationsmüll wegräumen? Wovon werden die Grödner dann leben? Bisher haben sie den Hals allerdings noch nicht voll genug und bauen weiter im selben Stil was das Zeug hält. Politische Konzepte dafür, dass es so nicht weiter-geht und die Grenze des Erträglichen überschritten ist, sind nicht zu erkennen. Was sollte getan werden?

Zunächst einmal: Umdenken! Andere Leitbilder als die des schnellen Geldes sind nötig, etwa für einen sanften und nachhaltigen Tourismus mit einer Identität schaffenden Baukultur in einer gepflegten, vom Verkehrslärm verschonten Kulturlandschaft. Qualität statt Quantität. Hochpreispolitik aufgrund „international üblicher“ Luxusvorstellungen bedeutet noch lange nicht echte Qualität. Diese Qualität könnte hochwertig aber dennoch ortsbezogen einfach sein. Müssen die Berghütten unbedingt Gourmettempel zwischen Austern, Tiroler Vormas und Edelfischen sein? Müssen sich die Hoteliers mit immer raffinierteren Wellnessbereichen hoch verschulden um dann das Geld mit erweitertem Zimmerangebot wieder hereinzuholen? Ist die eigentliche Stärke Südtiroler Gastlichkeit nicht doch die familiäre und persönliche At-mosphäre in überschaubarem Rahmen? Ist eine künftig weniger verbaute und verkehrsberu-higte Landschaft so wie früher nicht Wellness genug? Mit ihr muss überhaupt sparsam um-gegangen werden. Nur 6% der Fläche Südtirols ist bewohnbar. Das setzt eine weit voraus-schauende und sensible Raumordnung voraus statt ständigem Weiterwursteln mit Gefällig-keitsbaugenehmigungen. Nur hochqualifizierte Architekten, welche die ursprünglichen bauli-chen Strukturen interpretieren statt sie mit bloßem Dekor zu karikieren, dürften in dieser empfindlichen Landschaft bauen. Dazu sollten auch die betroffenen Bürger des Tales ein Mitspracherecht haben und nicht immer wieder von den mit örtlichen Honoratioren besetzten Baukommissionen vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Rechtzeitig muss Informations- und Diskussionsmöglichkeit geboten werden. Und alle touristischen Investitionswünsche sollten auf ihre globalen Kosten für die Umwelt einschließlich Rückbau untersucht werden. Diese Maßnahmen müssen durch eine restriktive Verkehrsplanung ergänzt werden - weniger Autolärm und keine Motorradschwärme, die sommers über das Grödnerjoch donnern. Sonst wird es nichts werden mit einem zukunftsfähigen Tourismus in alternativer Qualität für das einst so schöne Grödnertal! Ironische Zeitgenossen plädieren bereits für die Aufschüttung des Tales mit dem Aushub des Brennerbasistunnels um dann noch mal von neuem zu be-ginnen.

Andreas Gottlieb Hempel
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Fotos zum Bericht finden Sie HIER



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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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