Montag, 05.09.2005 | Ein Leitbild für Brixen

Auch in Brixen beginnt man an ein Konzept für Stadtmarketing zu denken, das die Stadt als Marke oder besser: als Begriff positionieren soll. Es kann aber nicht nur darum gehen, die eigene Stadt über ein Image zu vermarkten sondern vielmehr darum, ein nachhaltiges Leit-bild dafür zu entwerfen, wie sich die Stadt zukünftig entwickeln soll und welche politischen Entscheidungen dafür zu treffen sind. An dieser Stelle soll grundsätzlich einmal über das komplexe Thema von Leitbildern zur Stadtentwicklung berichtet werden und aus welchen Bedingungen heraus ein Leitbild für Brixen entstehen könnte.

Die Städte – nicht nur die Metropolen! – befinden sich heute im internationalen Wettbewerb als Standort, als Destination, als Umfeld für besondere Lebensqualität, um Investitionen, Innovationen, Gäste oder Führungskräfte und begehrte Unternehmen anzuziehen. Ange-strebt wird, eine Stadt zu einem Begriff werden zu lassen, zu einer Marke, die für ein be-stimmtes Angebot wie Kultur, Tourismus, Ausbildung oder ähnliches steht. Dies mag für ei-nen ökonomischen Erfolg ausreichen, wird aber den übergreifenden Aspekten und Bedürf-nissen aller Stadtbewohner, ihrer Geschichte und Identität kaum gerecht. Der Ansatz zu Leitbildern einer ganzheitlichen Entwicklung muss umfassender sein. Dazu einige Überle-gungen zur „Idee Stadt“.

Zunächst einmal ist die Stadt sichtbarer Ausdruck davon, dass sich die individuellen Fähig-keiten der Menschen erst im Miteinander, im Austausch, in der Zusammenarbeit verwirkli-chen und zu kultureller Höhe entfalten. In der Stadt hat sich die Arbeitsteilung entwickelt und in der Stadt fanden die Menschen Muße und Schutz für Kunst und Wissenschaft. Die Stadt ist immer noch das beste Abbild der Vergesellschaftung der Menschen und ist ein Spiegel-bild ihrer Bewohner. Damit ist die Stadt einerseits ein aktives Leitbild und Vorbild für die Menschen, die von ihr angezogen werden, andererseits aber wird der Stadt ein passives Leitbild von denen gegeben, die planend, gestaltend und politisch auf sie Einfluss nehmen.

Worauf basieren Leitbilder?

Wer nun genaueres über das Leitbild einer Stadt wissen möchte, muss sich zunächst drei Fragen stellen:

  1. Welches Abbild ihrer Bewohner vermittelt eine Stadt?
  2. Welche Wirkung hat dieses Abbild auf diejenigen die ihm als Leitbild folgen?
  3. Welchen Einfluss nehmen diejenigen, die das Leitbild formen wollen?

Zur Beantwortung dieser Fragen wird eine Definition des komplexen städtebaulichen Leitbil-des über seine Einzelteile erforderlich. Es sind dies im Wesentlichen:

Die Inhalte – Stadtbild, Infrastruktur, wirtschaftliche, ökologische, kulturelle und soziale Fak-toren
Die Verbindlichkeiten – Geschichte, Bestand, Charakter, Atmosphäre, Natur, Grenzen der Ausdehnung
Der Gestaltungsanspruch – das Leitbild kann lokale, regionale oder generelle Bedeutung haben und Ausdruck der Tradition und des Zeitgeistes sein
Die Politik – ein Leitbild hat Bedeutung für die politischen Entscheidungsräume wenn es als Handlungsprogramm verstanden wird
Die Entscheidungsträger – ein Leitbild kann nicht nur von einer Institution beschlossen wer-den sondern muss von einem Netzwerk der Öffentlichkeit getragen werden
Die Entwicklung – Veränderungen über ein Leitbild bilden sich in einem Prozess heraus, der langfristig angelegt ist.

In Europa – Südtirol und Brixen liegen gleichsam im geographischen Mittelpunkt – sind im-mer Idealbilder für die Städte, für die europäische Stadt, entwickelt worden, auch wenn sie nicht immer völlig realisiert wurden. Als Beispiele seien Begriffe wie Bischofsstadt, Resi-denzstadt, Hauptstadt, Verwaltungsstadt Industriestadt, Universitätsstadt, Kurstadt, Fest-spielstadt usw. genannt. Hintergrund der Idealbilder war das Bewusstsein, dass ohne Leitbil-der das sonst entstehende Chaos nicht gemanagt werden könne. Managen kommt von ma-nus = die Hand, die ordnend eingreift, geführt von Ordnungsvorstellungen, Leitbildern. Wer das aus vielerlei Gründen entstandene Chaos in den Megalopolen der Entwicklungsländer betrachtet, wird den europäischen Gegenentwurf mit Leitbildern schätzen. Chaos entsteht nicht nur in diesen Megacities sondern auch bei uns im Kleinen, wenn die Leitbilder fehlen. Ein Blick hier auf die Zersiedelung z.B. des Grödnertals oder die Gewerberandgebiete in Brixen genügt. Wir müssen aber unterscheiden zwischen schöpferischem und zerstöreri-schem Chaos. Schon in der biblischen Schöpfungsgeschichte hat das Ungeordnete, das Chaos, das Wort als Gesetz und Ordnung provoziert. Im Gegensatz zum zerstörerischen Chaos verlangt das schöpferische Chaos Ordnung nicht als statisches, prohibitives Prinzip sondern als dynamisches Prinzip mit Perspektiven.

Leitbilder sind keine Gesetze sondern Ziele

Im politischen Raum wird der Begriff Leitbild schnell mit Verboten und Ordnungsmaßnahmen gleichgesetzt. Ein typisches Beispiel ist die kurzsichtige Ablehnung des Ensembleschutzes zum Erhalt unseres baukulturellen Erbes durch die Brixner Fraktionen um jeglicher Bauwut freien Lauf zu lassen. Geordnete Leitbilder scheinen demnach Reizworte zu sein, vor allem wenn sie für eine zukunftsfähige und nachhaltige Stadt- und Bauplanung entwickelt werden. Eine kategorische Ordnung durch Leitbilder muss deshalb zugunsten eines offenen und dy-namischen Gefüges von Leitbildern aufgegeben werden um unserer demokratischen und vielfältigen Gesellschaft zu entsprechen. In diesem Gefüge von Leitbildern gibt es einige, die für die Stadt grundsätzliche Bedeutung haben:

Soziale Leitbilder - sie betreffen die Gesellschaft, die Familie, das soziale Gefüge, die Ar-beits- und Wohnverhältnisse. Es sind politisch bestimmte Leitbilder.

Funktionale Leitbilder – sie betreffen die Infrastrukturen der Stadt mit den Einrichtungen des Verkehrs und der Ver- und Entsorgung. Es sind technisch bestimmte Leitbilder.

Ästhetische Leitbilder – sie betreffen das Stadtbild, den Erscheinungscharakter, die Architek-tur und Bautradition. Es sind baukulturelle Leitbilder.

Wirtschaftliche Leitbilder – sie betreffen die Wirtschaft, den Tourismus, den Handel und das Gewerbe einer Stadt. Es sind ökonomische Leitbilder.

Leitbilder für die Umwelt – sie betreffen den Umgang mit der Natur in und um die Stadt und das Verhalten der Bewohner zum Schutz der Natur. Es sind ökologische Leitbilder.

Kulturelle Leitbilder – sie betreffen die Aus- und Fortbildung sowie das kulturelle Angebot und Niveau einer Stadt. Es sind kulturelle Leitbilder.

Man könnte noch mehrere solcher Leitbildgruppen aufstellen. Aber die Addition solcher Be-reichsleitbilder ergeben noch kein ganzheitliches Leitbild für die Stadt. Dieses muss in einem qualitativen Sprung einen Mehrwert aus den sektoralen Leitbildern ergeben und eine dauer-hafte Perspektive der städtischen Entwicklung bieten. Die schlechten Erfahrungen mit ideo-logischen Leitbildern (unter dem Faschismus und Kommunismus), technischen Leitbildern (z.B. autogerechte Stadt usw.), ästhetischen Leitbildern (z.B. Gartenstadt usw.) und wohn-baupolitischen Leitbildern (z.B. Förderung des Eigenheimbaus - mit der Zersiedelung der Landschaft) haben wegen ihres Mangels an ganzheitlicher Betrachtungsweise dazu geführt, dass man lange Zeit meinte, ganz ohne Leitbilder auskommen zu können. Das ist natürlich ein Irrtum. Leitbilder sind allen dynamischen Entwicklungen zu eigen – und um diese handelt es sich permanent in der Stadtentwicklung – nur dass man sie bisweilen nicht offen definiert hat. Dies war z.B. in den letzen beiden Jahrzehnten der Fall, als man glaubte, Stadtentwick-lung ganz den angeblich freien Kräften des Marktes zu überlassen. Im gleichen Zeitraum beschäftigte uns jedoch schon das Leitbild der nachhaltigen, ressourcenschonenden und umweltverträglichen Stadtentwicklung. Betrachtet man den Zustand unseres Planeten, dann scheint das Leitbild der nachhaltigen Stadtentwicklung das vordringlichste zu sein, wenn-gleich eine globale Umsetzung unerreichbar erscheint. Angesichts dieser Entwicklung und der drängenden Umweltprobleme erscheint die hier zitierte, lange geltende Definition eines Leitbildes zur Stadtentwicklung geradezu rührend:

„Unter Leitbild wird eine in ihren Grundzügen widerspruchsfreie, wenngleich sehr allgemeine Modellvorstellung räumlicher Organisations- und Gestaltungsformen verstanden, von der erwartet werden kann, dass sie die Ansprüche des Stadtbewohners an seine Lebensumwelt weitgehend zu erfüllen vermag“
(Konrad-Adenauer-Stiftung, 1985)

Vom Menschenbild zum Leitbild

Wo müssen wir also ansetzen, um zu einem ganzheitlichen Leitbild der Stadtentwicklung zu kommen? So einfach es klingt: am Menschenbild und dessen humanen Wertevorstellungen. Denn: nicht irgendwelche Schicksalswendungen bestimmen den Zustand der Städte sondern Entscheidungen von Menschen. Insofern sei zur Bestimmung konkreter Leitbilder ein weite-rer Ausflug in die theoretischen Grundlagen gestattet, bevor wir uns mit entsprechendem Verständnis für die konkrete Situation unserer Stadt Brixen widmen. Das Menschenbild wird durch drei Sphären gekennzeichnet:

  • die physisch-materielle Ebene
  • die psychisch-seelische Ebene
  • die spirituell-geistige Ebene

Alle drei Ebenen durchdringen sich dynamisch ohne Stillstand. Alles ist in ständiger Wand-lung, gelenkt durch die Entscheidungen des freien Willens – eine völlige Entsprechung zur Stadtentwicklung. Die Stadt muss als Organismus erkannt werden, der materiellen, psychi-schen und geistigen Entwicklungen unterliegt. Diese spielen sich auf wirtschaftlich-technischer, politisch-sozialer und wissenschaftlich-kultureller Ebene ab. Aus dieser Voraus-setzung ergibt sich, dass ein ganzheitliches Leitbild nicht nur materielle Dimensionen haben muss, die man sehen und anfassen kann sondern auch atmosphärisch-emotionale Bereiche, die man fühlen und erleben kann und geistig-künstlerische Ebenen, auf denen wissenschaft-liche und kulturelle Leistungen entstehen können.

Auf die materielle Dimension der Stadt trifft das Bonmot von Karl Kraus zu: „Von der Stadt in der ich lebe, erwarte ich Straßenbeleuchtung, Wasserspülung und Haustürschlüssel. Gemüt-lich bin ich selber!“ In ihr sollten sich also die Voraussetzungen für gesundes Wohnen, menschliche Arbeitsbedingungen und funktionierende Infrastruktur materialisieren. Diese Wertvorstellungen werden über Vorschriften, Planung und Investitionen in die Wirklichkeit übertragen. Dabei werden Entscheidungen, die als zeit- und ortsgerecht empfunden werden umgesetzt, z.B. Nachverdichtung, Durchgrünung, Verkehrsberuhigung, Denkmal- und En-sembleschutz, umweltverträgliche Stadtentwicklung usw.

Die seelische Dimension der Stadt zeigt sie uns als Ort des emotionalen Empfindens, des Heimatgefühls, Verbundenheit und der Identität. Sie macht einen wesentlichen Teil der An-ziehungskraft einer Stadt aus. Dabei spielen Antipathien oder Sympathien für die Bewohner eine große Rolle (der arrogante Römer, der schnoddrige Berliner, der hektische Pariser, den bedächtig-freundlichen Brixner usw.) Aus der Stadt als Ort seelischer Konditionierung kann der Einzelne Kraft gewinnen oder auch verzweifeln, bis zum Umzug in eine andere Stadt, die ihm „näher“ liegt.

Die geistige Dimension der Stadt geht auf das mittelalterliche Wort „Stadtluft macht frei“ zu-rück, die Stadt als Ort der Entfaltung geistiger Leistungen und freier Gedanken. Die Anre-gungen, die eine Stadt zur Kreativität beiträgt, ist nicht von ihrer Größe abhängig. Es gibt geistige Geographien und den bisweilen zeitgebundenen genius loci von Städten (Rom für Kirche und Architektur, Wien für Musik, Weimar für klassische deutsche Literatur, Brixen für hohe Lebensqualität usw.). Neuerdings bemühen sich viele Städte ausdrücklich um ein sol-ches geistiges Leitbild oder corporate identity, wie das auf Neudeutsch heißt.

Das individuelle Leitbild einer Stadt

So wie es neben dem allgemeingültigen Menschenbild die Charakteristik des Individuums gibt, so besteht neben dem generellen Leitbild für eine Stadt auch die spezifische Besonder-heit, die es zu entwickeln oder zu bewahren gilt. Dieses individuelle Leitbild einer Stadt führt zu einer „Stadtpersönlichkeit“, die von ihren Bewohnern getragen wird und die gerade des-wegen von Fremden gerne aufgesucht wird. Es entwickelt sich aus einer ortsbezogenen Po-litik für Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft und Umwelt, die auf allen drei Ebenen in die Umset-zung eines individuellen Leitbildes einbezogen werden müssen:

materiell in Stadtstruktur, Städtebau und Architektur
psychisch in Wohlbefinden, Charakteristik und Zugehörigkeitsgefühl
geistig in Kunst, Kultur und Wissenschaften

Für das so gefundene individuelle Leitbild der jeweiligen Stadt gilt es Steuerungsinstrumente für die drei genannten Ebenen zu entwickeln, die allerdings auf einem breiten Bewusstsein der Bevölkerung beruhen müssen und nur im Konsens auf breiter politischer Basis umge-setzt werden können.

Soviel zu den allgemein-theoretischen Voraussetzungen für die Entwicklung von Leitbildern.

Der besondere Fall Brixen

Auch Brixen sollte sich um ein individuelles Leitbild bemühen um zu einer Weiterentwicklung unserer Stadt zu kommen, die ihre besonderen Qualitäten und ihre vorhandene Charakteris-tik herausstellt. Wir haben deshalb mit drei Persönlichkeiten über dieses Thema gesprochen: mit Hans Heiss, Landtagsabgeordneter der Grünen, mit Klaus Vontavon, Vorsitzender des Vereins „heimatbrixen“ und natürlich mit dem neu gewählten Bürgermeister unserer Stadt, Albert Pürgstaller. Ihre Aussagen waren in vielen Punkten übereinstimmend und wir weisen im folgenden Text auf ihre sinngemäßen Aussagen hin. Es ist ein positives Zeichen, dass unterschiedliche politische Einstellungen die Gemeinsamkeiten aufweisen, welche für die notwendige Vernetzung und die Synergien bei der Entwicklung eines Leitbildes für Brixen erforderlich sind.

Über mehr als Stadtmarketing nachdenken

Bereits in der Juni-Ausgabe des „Brixner“ haben wir über die Gründung einer Stadtmarke-tinggesellschaft der Städte Meran, Bozen und Brixen (MEBOBRI) berichtet, die im Rahmen eines EU-Projektes an einer gemeinsamen Positionierung der drei Südtiroler Städte arbeiten soll. Nun hat Brixen inzwischen eine neue Stadtregierung erhalten, die mit frischem Schwung und unverbrauchten Ideen angetreten ist. Da ist es jetzt an der Zeit, nochmals über das Stadtmarketing Brixens auf der Grundlage eines individuellen ganzheitlichen Leitbildes - wie oben grundsätzlich dargelegt – nachzudenken.

Die Vorteile von Brixen mit seiner günstigen Lage mitten in Europa, gut erreichbar an der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung über die Alpen, seinem hervorragenden Klima, seiner herrlichen natürlichen Umgebung, seiner historischen Bausubstanz, der kulturellen Tradition als ehemalige Bischofsstadt und seiner idealen Größe als Kleinstadt mit besonders hoher Lebensqualität sowie ausgeglichener Wirtschaftsstruktur aus florierendem Handel und Ge-werbe bis hin zu international wirkenden Firmen, Tourismus und Landwirtschaft, insbesonde-re mit hochqualifiziertem Weinbau, brauchen wir hier nicht weiter herauszustreichen. Keine Frage, Brixen ist als Stadt Südtirols weithin bekannt – wen man auch fragt, fast jeder weiß, wo Brixen liegt oder war schon einmal dort und nickt: schönes Städtchen, ja.
Fragt man aber weiter, welches die besondere Charakteristik von Brixen sei, kommt außer historischer Altstadt und Domplatz nicht mehr viel. „Die wirklichen Vorteile und Chancen von Brixen wirken diffus, nicht wirklich ausgeprägt für eine mögliche Entscheidung, Brixen sofort als Ferienziel, Veranstaltungsort, Ausbildungsplatz, Produktionsstandort oder Kongress-standort auszuwählen“ (Hans Heiss). Hier gilt es anzusetzen, „um Brixen sozusagen zu einer „Marke“, zu einem „Logo“ werden zu lassen, das im Kopf entsteht, wenn der Name fällt“ (Al-bert Pürgstaller).

Leitbild für 20 Jahre

Der Bürgermeister hat bereits seine Fühler nach kompetenten Stadtmarketingmanagern in Deutschland ausgestreckt und plant, eine überparteiliche Arbeitsgruppe aus Fachleuten, Beratern von außerhalb und Bürgern einzusetzen, die ein einvernehmlich erarbeitetes Leit-bild für das politische Handeln mindestens der nächsten 20 Jahre entwirft. Er hat Recht – ein Leitbild ist eine langfristig zu entwickelnde und durchzuhaltende Perspektive, die nicht von Wahl zu Wahl wieder grundlegend verändert werden darf.
„Dazu sind sorgfältige Vorarbeiten erforderlich, bei denen Chancen, Schwächen und Risiken für Einheimische, Gäste und Investoren analysiert werden müssen. Die Qualitäten als Wohnort, Urlaubsziel und Investitionsstandort müssen sichtbar gemacht und vernetzt wer-den. Kernarbeitsgruppen unter der Beratung und Moderation von externen Fachleuten sollen Wertvorstellungen für die politische Umsetzung formulieren. Dazu ist eine enge Zusammen-arbeit mit der Stadtverwaltung und vor allem mit der Öffentlichkeit geplant. Die Bevölkerung soll z.B. durch fachliche Informationsveranstaltungen einbezogen und zur Mitarbeit motiviert werden“ (Albert Pürgstaller)
Überparteilichkeit und breiter öffentlicher Konsens sind erforderlich. Das Ziel ist, Brixen zu einem Begriff werden zu lassen, der nicht auf einer Fülle von möglicherweise widersprüchli-chen Schwerpunkten, sondern auf der wesentlichen Stärke und Charakteristik der Stadt auf-gebaut werden sollte.
„Nun leidet auch Brixen an einer für Südtirol typischen „Talschaftsmentalität“ einer Abgren-zungsgesellschaft“ (Klaus Vontavon). Viele gute Ideen und Initiativen laufen häufig neben-einander her und werden – bei allem guten Willen, etwas im Besonderen zu erreichen – nicht miteinander vernetzt oder aus einer ganzheitlichen Sicht in Synergien verwandelt. „So schei-nen Geschäftsleute, Tourismus und Landwirtschaft nebeneinander ihre jeweiligen Interessen zu verfolgen, ohne eine gemeinsame Initiative für ein Leitbild, eine gemeinsame Werbelinie oder ein Kommunikationssystem zu ergreifen. Gelegentlich geraten sie sich sogar in die Haare“ (Hans Heiss und Klaus Vontavon).

„Leitbild der Konsequenz“

Es fehlt gewissermaßen an einem „Leitbild der Konsequenz“ (Hans Heiss), um die vielen guten Einzelansätze konsequent durchzuführen. Nur ein Beispiel sei herausgegriffen: Die historische Altstadt als Fußgängerbereich auszubilden war eine hervorragende Entschei-dung, aber sie wird zum Ärger und Erstaunen vieler Bürger und Gäste nicht konsequent durchgeführt und kann deshalb ihre Qualitäten für den ungestörten Aufenthalt auf den Plät-zen und in den Gassen der Altstadt nicht entfalten, obwohl es keinerlei Mühe bereitet, in we-nigen Minuten von einem Ende der Altstadt zum anderen gemütlich zu promenieren. Hier wird der Vorteil der kurzen fußläufigen Wege gegenüber den angeblichen Interessen der guten Erreichbarkeit der Geschäfte mit dem Fahrzeug nicht durchgehalten – mit dem Effekt der ständigen gegenseitigen Störung.

Welches wäre nun das übergreifende individuelle Leitbild für Brixen, unter dem die weiteren Schwerpunkte der künftigen Entwicklung folgerichtig eingeordnet und vernetzt werden müss-ten? „Aus der Geschichte der geistigen Ausstrahlung fürstbischöflicher Kultur, aus der Tradi-tion der Baukultur, aus den vorhandenen umfassenden Einrichtungen zur Ausbildung auf hohem Niveau und den schon gebauten Möglichkeiten als Treffpunkt bietet sich das Leitbild der „Kulturstadt“ für Brixen geradezu an“ (Albert Pürgstaller, Hans Heiss und Klaus Vonta-von) – einer Kulturstadt, in der qualifizierter und gut organisierter Kongresstourismus, univer-sitäre Ausbildung, niveauvolle künstlerische Programme und Veranstaltungen zum Begriff im Alpenraum und darüber hinaus in Europa werden kann und damit ein entsprechend kultivier-tes Publikum anzieht.

„Kulturstadt Brixen“

Dem Leitbild der „Kulturstadt Brixen“ können bei der weiteren Entwicklung der Stadt die not-wendigen weiteren Schwerpunkte untergeordnet werden. Einige davon sollen hier bereits genannt werden: „Bessere Integration der neuen Universität und ihrer Studenten zu einer besonderen studentischen Szene, die das Leben der Stadt mehr bereichert als bisher“ (Hans Heiss), „Integration der Sprachgruppen – nicht nur der deutsch-italienischen, sondern auch anderer Zuwanderergruppen – zu einem ethnischen Leitbild der Zusammenarbeit und sozia-len Integration im europäischen Sinn“ (Klaus Vontavon), „Vernetzung der Partikularinteres-sen von Tourismus, Landwirtschaft und Gewerbe“ (Albert Pürgstaller), „Entwicklung des Stadtbildes im Sinne einer „Kulturstadt“ auf hohem gestalterischen Niveau mit Verdichtung statt Zersiedelung und strengen Gestaltungsrichtlinien in den Ensembles“ (Hans Heiss), „kul-turelle Aufwertung des Domplatzes mit Auslagerung der Finanzpolizei, stattdessen Einrich-tung eines Stadtmuseums, möglichst Beibehaltung des Büchereistandortes und anderer öf-fentlicher Einrichtungen“ (Klaus Vontavon), Ausweitung der Fußgängerbereiche auf die gan-ze Altstadt, Parken nur am Altstadtrand, bessere Anbindung des neuen Wohnviertels Ross-lauf an die historische Altstadt“ (Klaus Vontavon und Hans Heiss), Vernetzung des individu-ellen und öffentlichen Verkehrs und so weiter.
Entscheidend wird dabei auch die Frage sein, ob Brixen die Führungsrolle in einem Vier-Städte-Konzept (Sterzing, Brixen, Bruneck und Klausen) übernehmen kann. Dabei könnte die Zusammenarbeit von diesen liebenswerten Kleinstädten ein besonderes Niveau im Ei-sack- und Pustertal erreichen. „Sicherlich wäre die Position einer „Kulturstadt Brixen“ hier besser auszubauen als in der Konkurrenz mit Meran und Bozen“ (Hans Heiss).

Politische Aufgabe

Zur Vernetzung der bisher immer einzeln betrachteten Probleme wäre auch eine Leit- oder Clearingstelle unter zentraler organisatorischer Leitung denkbar, dessen Direktor mit be-triebswirtschaftlicher Kenntnis und kommunikativem Umgang den notwendigen Konsens aller Beteiligten erarbeitet. Auch ein kultureller Kurator könnte an dieser Stelle angesiedelt sein, um das notwendige Niveau langfristiger kultureller Ereignisse der „Kulturstadt Brixen“ zu entwickeln und durchzuhalten.
Glücklicherweise verfügt Brixen über eine engagierte Bürgerschaft, deren Mitarbeit bei ent-sprechender Information und Einbeziehung in die Umsetzung des Leitbildes ein noch nicht genügend gewürdigtes Kapital darstellt. Da lässt sich etwas daraus machen, um Brixen als „Kulturstadt“ mitten in Europa zu einem bedeutenden Begriff werden zu lassen. Eine schöne Aufgabe für den neuen Stadtrat, der den Gedanken eines Leitbildes für Brixen mit der Fülle der genannten Faktoren zunächst in einer eigenen Klausur diskutieren sollte, denn die For-mulierung eines Leitbildes ist eine politische Aufgabe.

Schlussbemerkung

Wir haben diesen Bericht mit seinem ausführlichen theoretischen Teil zum Thema Leitbild in besonderer Absicht in diesem Heft zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, an dem sich der Stadt-rat unter der Führung des neuen Bürgermeisters – seit 100 Tagen im Amt! – der Leitbilddis-kussion für Brixen annimmt. Diese Initiative ist bemerkenswert. Es handelt sich aber um eine sehr komplexe Aufgabe, deren Randbedingungen für eine erfolgreiche Durchführung hier zum besseren Verständnis in der Öffentlichkeit dargestellt werden sollte. Nur mit informierter Diskussion und Sachkenntnis wird sich der erforderliche Konsens für ein individuelles Leitbild Brixens herstellen lassen. Darüber hinaus möchten wir den Verantwortliche die Einbezie-hung kompetenter Berater und deren Erfahrungen in anderen Städten und Gemeinden emp-fehlen.

Andreas Gottlieb Hempel
(3035 Wörter / 23 270 Zeichen mit Zwischenräumen)



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