Montag, 01.02.1999 | Künstler oder Manager – die Rolle des Architekten im Wandel

Oder? Künstler und Manager muß es hei-ßen, um die Aufgaben des Architekten rich-tig zu beschreiben. Und zwar in dieser Rei-henfolge.

Überdies umschreibt der Begriff Manager nur ungenau die Fähigkeit zu kompetenter Kooperation, die der Architekt als zentrale Figur des Bauteams bieten muß, um Auto-rität zu sein. Noch präziser muß der Begriff Künstler definiert sein, um den Architekten gemäß gängiger Klischees nicht als welt-fremden Ästheten erscheinen zu lassen, der das Geld seiner Bauherrn nur für sinn-los Schönes verplant, “um sich ein Denk-mal zu setzen.”

Baukunst, Architektur, gilt seit der Antike als die Mutter der Künste, da sie die übri-gen umfaßt, beherbergt oder – gleichsam als gefrorene Musik – in sich trägt. Alle Künste entspringen dem menschlichen Geist als Abbild einer paradiesischen Her-kunft, nach deren Wahrheiten sich der Mensch im materiellen Diesseits sehnt. L´essentiel est invisible – das Wesentliche ist unsichtbar, läßt Antoine de Saint Exupé-ry seinen Kleinen Prinzen sagen. Obwohl greifbar, sichtbar und begehbar – das We-sentliche der Architektur ist unsichtbar und - wieder der Kleine Prinz - on ne voit bien qu´avec le coeur, man sieht nur mit dem Herzen gut. Der überwiegende Teil des Gebauten läßt unsere Herzen kalt, weil er nicht inspiriert, also geistlos, keine Archi-tektur ist. Das Sichtbare, wenn nicht nur funktionsbestimmte Häßlichkeit, bleibt bes-tenfalls plattes Design oder, heute sehr gefragt, corporate identity. Den Innen- und Außenräumen fehlt das Wesentliche – das Unsichtbare, die Atmosphäre, die das Ge-baute zu Baukunst veredelt und damit die Menschen innerlich berührt, begeistert, behaust und beschützt.

Der  Entwurf, die zentrale geistige Leistung des Architekten, hat als Ziel,  Bauen in um-fassender Weise zur Kunst werden zu las-sen – in Verantwortung gegenüber der Ge-sellschaft und der Umwelt. Im Team der am Bau Beteiligten ist der Architekt der einzige, der diesen ganzheitlichen An-spruch zu erfüllen sucht. Ist er aber dafür hinreichend  ausgebildet und ausgerüstet?

Zur Zeit mit Sicherheit nicht. An den Hoch-schulen ist der Entwerfer – im einseitig ästhetisch orientierten Sinne – der Star. Jeder die kleine Imitation eines gerade in den Gazetten gefeierten Meisters. In der Praxis  zählt die wirtschaftliche Verwertung der Investitionsmittel. Ohne Rücksicht auf die Belastung der Umwelt, der gesellschaft-lichen Relevanz oder die Unterhaltskosten für den meist noch unbekannten Käufer oder Nutzer. Eine globale Betrachtungs-weise  der Auswirkungen einer Baumaß-nahme fehlt völlig. Die Lebensdauer, der mögliche Wandel der Funktion, der Ener-gieverbrauch bei der Herstellung der Bau-materialien und beim Betrieb des Gebäu-des im Verhältnis zu den Herstellungskos-ten und zum Nutzen, die mögliche Rück-führung des Bauschuttes nach irgendwann fälligem Abbruch in den Materialkreislauf, die physiologischen und psychologischen Auswirkungen eines Neubaus auf Land-schaft, Stadtbild, Infrastruktur, Verkehrs-verhalten, gestalterische Veränderungen und Beeinflussung der Umwelt werden nicht untersucht. All dies sind – völlig ver-nachlässigte! – Aufgaben des Entwurfs. Sie können vom Architekten nicht  allein gelöst werden. Dazu fehlt ihm die spezielle Fach-kompetenz in den einzelnen Arbeitsberei-chen. Aber er muß dieses Fachwissen or-ganisieren, koordinieren und in Entwurf und Ausführung integrieren – managen – kön-nen.

Neben der Fähigkeit zur umfassenden fachlichen Integration von Wissen und der Zuabeit zahlreicher Beteiligter in ganzheit-lich aufgefasste Entwürfe und Bauablaufe muß der Architekt zu wirtschaftlicher und finanzieller Beratung in der Lage sein. Dies gilt nicht nur für die eigentlich selbstver-ständliche Aufgabe, einmal veranschlagte Preise und Termine zu steuern und halten zu können. Die umfassende Vorausbe-rechnung der Kosten und Rendite im oben geschilderten globalen Sinn gehören künf-tig zur Beratung des Bauherrn. Diese Kenntnis wird neben der nachgewiesenen entwerferischen Leistung ein entscheiden-der Faktor bei der Aquisition von Aufträgen sein.

Aufträge werden Architekten zukünftig be-sonders dann erhalten, wenn sie nicht nur bereit sind die gesamte Planung verant-wortlich zu koordnieren – möglichst als Generalplaner – sondern wenn sie ebenso kompetent die Ausführung der Bauten ü-berwachen. Dies wird vor allem in der Alt-bausanierung  notwendig sein – einer Auf-gabe, die den Neubau mehr und mehr ver-drängt. Bereits heute umfaßt die Sanierung über 60 % der Baufälle mit steigender Ten-denz und vielfach ohne Architekten.

Die überwiegende Mehrzahl der selbsstän-digen deutschen Architekten haben kleine Büros. Wenn sie überleben wollen, müssen sie neben der Entwurfskompetenz neue Formen der interdisziplinäre Zusammenar-beit und des Managements entwickeln. Nicht nur um zu überleben, sondern weil der Architekt - wie kein anderer der am Bau Beteiligten - eine ganzheitlich bestimmte Kreativität einzubringen vermag.

Andreas Gottlieb Hempel
Präsident des Bundes Deutscher Architek-ten BDA

Berlin, den 1.2.1999
FAZ23021999



:: Home :: Impressum :: Sitemap

15.01.2020
Häuser des Jahres

15.01.2020
Die Bozner Freiheitsstraße

Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
Otto von Guggenberg Str. 46   I-39042 Brixen (BZ)   Italien
Tel Studio 0039-0472-836317   mobil 0039-349-7969334
privat 0039-0472-679076   e-mail info@agh.bz
Seite drucken Webseite zu den Favoriten hinzufügen