Dienstag, 04.10.2005 | Der Domplatz endlich autofrei?

Bisher war es nur eine halbe Sache mit Brixens „Guter Stube“. Der Umzug der Guardia di Finanza eröffnet neue Chancen: Kann der Domplatz jetzt ein wirklich festlicher Platzraum werden?

Keine andere unter den Südtiroler Städten weist einen so bedeutenden Platzraum aus wie die Domstadt Brixen. Selbst der Bozener Waltherplatz wird nicht vom etwas abseitigen Dom bestimmt, der dem Platz auch noch den Rücken zuwendet. Die teilweise zu niedrigen Fas-saden haben dort nicht die Kraft, der zu weiten Fläche des Platzes die umschließende Quali-tät eines dreidimensionalen Raumes zu geben. Ganz anders in Brixen: gleich zwei Kirchen bestimmen den Platz, die Pfarrkirche St.Michael und der Dom, der dem Platz majestätische Symmetrie verleiht. Die Fassaden haben die richtige Höhe und die entsprechende gestalteri-sche Bedeutung um dem Brixner Domplatz eine starke, geschlossene Raumwirkung zu ge-ben und die Kraft zum räumlichen Zusammenhalt zu bieten. Er fällt architektonisch und räumlich nicht auseinander, ganz im Gegenteil, er zeigt das großartig differenzierte Gefüge eines gewaltigen Innenraumes, der vom Himmel strahlend überdeckt wird.

Dennoch: schon immer hat sich auch in diesem eigentlich so einheitlichen und abgeschlos-senen Stadtraum die historische Zweiteilung Brixens in eine Bürgerstadt und einen kirchli-chen Bereich abgezeichnet. Im Südosten der ruhige Dombezirk im Nordwesten die lebhafte Stadt. Das Viereck des Platzes zerfällt in zwei Dreiecke, weniger in der Gestalt als in der Nutzung. Rathaus und Bibliothek mit ihren Besuchern, Geschäfte und Cafés bestimmen den nördlichen Teil während die Südostecke mit der völlig deplazierten Guardia die Finanza ein verschattetes und von Autos verstelltes Abseits bildet. Diese Ödnis wird in der warmen Jah-reszeit auch noch von einem gestalterisch nicht gerade inspiriertem Konzertpodiumsunge-tüm diagonal verstellt.

Und wenn schon von der „Möblierung“ des Platzes die Rede ist, dann zuerst die gute Nach-richt: die temporären Elemente, die Zelte und Buden für Christkindlmarkt, Brotfestival, Alt-stadtfest und andere Veranstaltungen sind jeweils einheitlich gestaltet und das gar nicht mal so schlecht. Immerhin lenkt ihre Aufstellung von dem ansonst eher mäßigen „arredo urbano“ des Domplatzes ab – das ist die schlechte Nachricht. Immerhin wurde die Platzoberfläche ruhig und ausschließlich im traditionellen Porphyr gepflastert. Auch die großen Leuchtmasten passen sich gut in das hervorragende Lichtsystem der Altstadt ein. Aber schon die Bäume auf dem Platz waren ein eklatanter Missgriff – was haben diese schütteren japanischen Kirschbäume hier zu suchen? Sie passen weder von der Art, der Größe und der Dichte zum Domplatz. Schatten spenden sie kaum. Hier müssten Winterlinden oder Platanen stehen, die volles Volumen entwickeln, schön beschnitten werden und nicht so verloren auf der Platzflä-che herumstehen. Dazu die Brunnen bzw. der Riesenpflanzkübel. Wie schön hätte die gran-diose Symmetrie des Platzes durch zwei große flache Wasserbecken mit hohen Fontänen gesteigert werden können! Stattdessen wird der nördliche „Brunnen“ mit jahreszeitlich wech-selnder spießiger Vorgartenbepflanzung beblümelt, während der andere, südliche Brunnen wie ein Kochtopf mit einem Bronzedeckel geschlossen wurde. Kleinere Möblierungsteile wie Telefonzelle, Bekanntmachungstafel, Abfallkübel aus Waschbeton, Blumenkästen zur Ab-grenzung der Cafés und vor allem deren unterschiedliche Tische und Stühle vermitteln ein gestalterisches Kleinchaos, das den zahlreichen Besuchern keinen überwältigenden Ein-druck vermittelt.

Kein Wunder, dass sich bei dieser mangelnden Beachtung einer sorgfältigen Gestaltung sich der Domplatz an seinem unteren Ende langsam aber sicher wieder in einen Parkplatz ir-gendwelcher Privilegierter oder rücksichtsloser Schlaumeier verwandelt hat. Die Milleniums-säule könnte leicht durch einen Parkautomaten ersetzt werden – ständig von Autos und Lie-ferwagen umstellt nimmt sie eh niemand mehr war. Selbstverständlich fuhren und fahren die Finanzer ständig mit ihren Dienstwagen provokant über den Domplatz, diesen wichtigen Be-amten war ja der kurze Fußweg von der öffentlichen Garage an der Dantestraße durch die Kreuzgasse (max. 3 min ohne Espressopause!) nicht zuzumuten. Und mit irgendwas musste man ja auch die Marende holen.

Nun zieht sie um, die Guardia di Finanza. Wir gönnen ihr das neue geräumige Haus. Ciao! Jetzt ist die Chance für den Domplatz gekommen rundherum angemessen genutzt zu wer-den. Genutzt werden heißt aber bei Brixens schönstem Platz: Mit Leben erfüllt werden und nicht nur mit kommerziellen Leben! An den Domplatz gehört neben dem Rathaus, dem Stadtarchiv, dem Dekanat auch weiterhin die Stadtbibliothek. Deren funktionale Überlegun-gen sollten unter dem Aspekt der zentralen Bürgernähe, die hier sicher besser gegeben ist als im Norden der Altstadt am Acquarena nochmals bedacht werden. Natürlich gehören auch Läden, Cafés und vielleicht wieder ein gutes Restaurant zum Domplatz. Aber keine Autos, auch nicht in die Hof-u. Brunogasse!

Was wird sich für eine neue Nutzung im ehemaligen Sitz der Finanzer ergeben? Die Stadt Brixen würde gerne das Haus für eine öffentliche Nutzung übernehmen. Bürgermeister Pürgstaller ist aber nicht zu beneiden. Ihm steht die Suche im Labyrinth der römischen Ver-waltung des staatlichen Immobilienbesitzes bevor. Bis in den Fluren dieser kafkaesken Be-hörde die richtige Tür zum richtigen Zuständigen gefunden sein wird, kann noch Zeit verge-hen, eine Menge Zeit, die dann auch noch einmal für die sicherlich nicht einfache Einigung über einen Verkauf, Tausch, Pacht oder ähnliches des Gebäudes benötigt wird. Vielleicht kann man aber in der Zwischenzeit einmal ein Gesamtkonzept für die weitere möglichst fest-liche Nutzung und Gestaltung des Domplatzes für die Brixner Bürger und ihre Besucher er-arbeiten – die grandiose städtebauliche, architektonische und räumliche Situation ist jeder Anstrengung wert.

Andreas Gottlieb Hempel
(834 Wörter / 5948 Zeichen mit Zwischenräumen)



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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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