Samstag, 26.11.2005 | Bürgerbeteiligung in der Politik

Unter diesem Titel stand ein akademischer Tag in der Cusanus Akademie Brixen am 26.11.2005.In einem demokratischen Land scheint die Beteiligung der Bürger an den demo-kratischen Verfahren eine Selbstverständlichkeit zu sein. Da dies nicht so zu sein scheint bewiesen die Vorträge und vor allem die nachfolgende engagierte Diskussion der Anwesen-den.

Die akademischen Tage in der Cusanus Akademie beschäftigen sich immer wieder mit poli-tischen Themen und sind durch hervorragende Referenten in der Regle sehr interessant. Das unter den zahlreichen Anwesenden zum Thema „Bürgerbeteiligung“ fast keine Jugendli-chen zu sehen waren, stimmte nicht nur den Leiter der „Initiative mehr Demokratie“, Stephan Lausch nachdenklich. Lausch erhielt für sein Engagement mit der Initiative, die jetzt über 250 Mitglieder zählt, einen schönen Blumenstrauß überreicht, den er allein schon für sein ausge-zeichnetes Referat verdient hätte.

Die Referate

Zunächst führte jedoch Prof. Dr Dr. Günther Pallaver, Innsbruck, in das Thema ein mit dem Referat „Die Rolle des Demos – Phantasie von Demokratie“ ein höchst intellektuell - philoso-phischer Grundsatzvortrag zu der Rolle des Volkes im Anspruch der Herrschenden, zur Ge-schichte der Demokratie, ihrer Entwicklung in den Nationalstaaten und deren künftige Ablö-sung durch eine politisierte Netzwerkgesellschaft der globalisierten Wirtschaft in der sich funktional orientierte sektorale Gruppen sich die Teilnahme an der „governance“, der Regie-rungsgewalt, selbst zu schreiben (Italiens Regierungschef, ein Medienzar, ist bereits ein Bei-spiel dafür, was der Gesellschaft dann blüht!). Eine hervorragende allgemeine Einleitung in die mehr auf Südtiroler Verhältnisse abgestimmten weiteren Vorträge.
Stephan Lausch hatte das Thema „Neue Möglichkeiten der direkten Demokratie in Südtirol“ gewählt. Er begann mit dem berühmten Potsdamer Manifest weltbekannter Physiker um Al-bert Einstein zu Beginn des Kalten Krieges. Darin wurde das neue Weltbild der Physik dar-gelegt, das nicht mehr als mechanistische Realität sondern als Wirklichkeit unbegreiflicher Potentiale dargelegt wird. Das Weltbild der Beherrschung muss durch das des Begreifens abgelöst werden. Dazu bedarf es jedoch der Abstimmung mündiger, vollkommen gleichge-stellter Menschen in ihrer vollen Freiheit für Entscheidungen, die nicht einfach an Machtposi-tionen delegiert werden können. Dafür muss die  Demokratie einen Quantensprung machen. Die bestehende repräsentative Demokratie sollte daher durch eine direkte Demokratie mit der Möglichkeit von Referenden auch für direkte Gesetzgebungsverfahren ausgestattet wer-den. Das in Südtirol vom Landtag heuer beschlossene Gesetz zu den Verfahren solcher Re-ferenden habe durch seine einschränkenden Bedingungen keinerlei Aussichten auf reale Anwendung.
Der Zielsetzung der Cusanus Akademie folgend stellte das dritte Referat den Bezug zum christlichen Glauben her. Pfarrer Josef Stricker sprach über „Demokratiebewusstsein und Bürgerbeteiligung aus der Sicht der Kirche“ und gab gleich zu Beginn zu, dass die Kirche nach Außen und schon gar nicht nach Innen eine demokratische sondern eine hierarchische
Haltung in der Geschichte eingenommen habe. Aber er stellte fest, dass alle Menschen und menschliche Systeme fehlbar sind und eine Orientierungshilfe ethischer Art benötigen um mit Fehlern fertig zu werden und eine Orientierung zu finden. Auch in der Demokratie sei die ethische Debatte um Werte unabdingbar und hilfreich. Die Kirche sei imstande, die christli-chen Werte anzubieten wie die Unantastbare Würde des Menschen, die Verantwortung auch für Andere, den Respekt vor der Verschiedenheit der Menschen, Toleranz und der Glaube an die Kraft des Wortes für ungezwungene Überzeugungsarbeit. Auch die Demokratie käme ohne ethische Rückbindung nicht aus.

Die Diskussion

An der anschließenden Diskussion nahmen neben den Referenten noch teil: Walter Baum-gartner, der Fraktionsvorsitzende der SVP im Landtag, Hans Heiss, Landtagsabgeordneter der Grünen, Walter Harpf, SVP-Mitglied aus Bruneck, das aus Protest gegen das Demokra-tieverständnis der SVP und deren Verquickung von Macht, Medien, Wirtschaft und Politik seine Ämter niedergelegt hat. Hans Heiss erkannte zwar an, dass innerparteilich in der SVP als Mehrheitspartei eine weitreichende Diskussion stattfände, die Entscheidungen dann doch von einem inneren Zirkel getroffen würden und Andersdenkende auf undemokratische Weise ausgegrenzt würden. Dennoch empfand er das Jahr 2005 als ein Jahr der demokratischen Bewusstwerdung durch den Verlauf der Brixner Kommunalwahlen, der Initiative für mehr Demokratie mit dem Pustertaler Referendum und dem Gesetz für direkte Demokratie. Vor allem aber der immer deutlicheren Forderung aus der Bevölkerung für mehr Information, weniger Lobyismus und die Unabhängigkeit der Landtagsabgeordneten von Interessengrup-pen. Es war zu erwarten, dass Walter Baumgartner die Landtagsabgeordneten als Persön-lichkeiten der repräsentativen Demokratie in Schutz nahm und die direkte Demokratie über Referenden nur für Ausnahmefälle akzeptierte. Insofern sei das Gesetz für direkte Demokra-tie mit seinen hohen Hürden eine richtige Entscheidung der breiten Mehrheit des Landtages.
Die Diskussion unter Einbeziehung der Zuhörer brachte noch weitere tiefgreifende Kritik am Zustand der Demokratie in Südtirol zutage. Darunter vor allem die „Bittstellerdemokratie“ in den frühen Morgenstunden beim Landeshauptmann, dessen „landesfürstliche Entscheidun-gen“ (Zitat) manche vorangegangene Verwaltungsentscheidung infrage stellen könne. Über-haupt seien die Entscheidungen der Landesregierung von Lobbyeinflüssen und Gefälligkei-ten für die Wirtschaft oft zu Ungunsten der Umwelt geprägt und hätten vielfach zur Zersiede-lung und Verbauung der landschaftlichen Schönheiten Südtirols geführt.

Fazit

Die Erneuerung transparenter und informativer demokratischer Verfahrensweisen wurde eingefordert, der Unwille über die gegenwärtige „Gefälligkeitsdemokratie“ im Beziehungsge-flecht der Sammelpartei wurde formuliert. Aber es wurde auch anerkannt, dass hinter den demokratischen Fehlentwicklungen das große Problem der ethnischen Verhältnisse in Südti-rol steht. Das Gegeneinander der Volksgruppen in der Vergangenheit hat zu einer notwendi-gen Sammelpartei geführt, über deren Berechtigung in einem demokratischen System unter den heutigen Bedingungen kritisch nachgedacht werden müsse. Insofern ein sehr auf-schlussreicher Vormittag in der Cusanus Akademie, eine Lehrstunde in Demokratie und ein Stimmungsbild des Denkens in der interessierten und engagierten Bürgerschaft.

Andreas Gottlieb Hempel
26.11.2005



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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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