Sonntag, 17.04.2005 | „Die Stadt in der Stadt“

Europäische Akademie EURAC im ehem. GIL Gebäude Bozen
Architekt: Klaus Kada, Graz/Aachen

Die Europäische Akademie Bozen, EURAC, wurde 1992 in Bozen gegründet. Angewandte Forschung und postgraduale Ausbildung in den Bereichen Sprache und Recht, Ethnische Minderheiten und regionale Autonomien, Alpine Umwelt, Management und Unternehmens-kultur sowie Regionale Hochschulentwicklung haben eine rasch wachsende „Zukunftswerk-statt“ entstehen lassen, die für ihre stetig zunehmenden Aufgaben Raum benötigte.

!995 wurde das ehemaligen GIL-Gebäude an der Drususbrücke als entgültiger Sitz der EU-RAC bestimmt und ein internationaler Architekturwettbewerb zur Sanierung und Erweiterung des Bestandes ausgeschrieben. Aus 56 eingereichten Projekten wurde der Entwurf von Klaus Kada einstimmig als „besonders wertvolle und ausgezeichnete Arbeit“ zur Ausführung bestimmt und im Herbst 2002 fertiggestellt.

Um die Qualität des Ergebnisses beurteilen zu können, lohnt es sich die historischen Hinter-gründe der sensiblen Situation zweier Volksgruppen, zweier Mentalitäten in Südtirol / Alto Adige genauer einzuschätzen. Gerade erst waren im Streit um die Umbenennung des nahe-gelegen „Siegesplatzes“ alte Emotionen zwischen den Bevölkerungsgruppen wieder auf-gebrochen – die italienische Bevölkerungsmehrheit der Stadt Bozen lehnte in einer von der postfaschistischen Alleanza Nationale durchgesetzten Volksabstimmung die „europäisch“ gedachte Umbenennung in „Friedensplatz“ ab. Trotz des nach jahrzehntelangem Tauziehen 1991 endlich geschnürten „Südtirolpakets“ für eine weitgehende Autonomie der zweisprachi-gen Provinz, ist das Unrecht, das Mussolinis Faschisten der deutschsprachigen Bevölkerung angetan hat, nicht völlig aufgearbeitet, nicht völlig vergessen.

Nicht nur das pompöse Denkmal von 1928 auf dem Siegesplatz mit seiner grotesken In-schrift (Von hier aus lehrten wir den anderen Künste und Kultur) sondern das gesamte neue Bauen des italienischen Rationalismus der zwanziger Jahre wurde ziemlich unterschiedslos  von den deutschsprachigen Südtirolern mit der faschistischen Unterdrückung gleichgesetzt und abgelehnt. Ein Grund dafür, dass in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg her-vorragende Bauten dieser Zeit bis zum Zerfall verkamen – erst der Denkmalschutz konnte schließlich das Schlimmste verhindern.

Auch das ehem. GIL-Gebäude, das von den Architekten Gino Miozzo und Francesco Man-sutti aus Padua als „Casa della Giovane Italiana“ 1935 in den klaren Formen des italieni-schen Rationalismus projektiert wurde, überlebte schließlich denkmalgeschützt für die neue Nutzung. Miozzo und Mansutti – bekannt dafür „dass sie beim Bauen den Sinn für die Rein-heit und die einfachen klaren Formen nicht verloren und keine Angst vor Wiederholungen und vor wunderschöner Schlichtheit haben“ (Casabella 1933) – erhielten 1934 Aufträge für ähnliche Projekte in Brixen, Cremona und Meran, die mit gleichartigen Elementen (Pergolen, Auditorium, Galerie usw.) am jeweiligen Standort neu figuriert wurden. Dazu gehörte auch das GIL-Gebäude, das an einer städtebaulich entscheidenden Stelle errichtet wurde:

Am Zusammenfluss zwischen Eisack und Talfer, die den östlich gelegenen Altstadtkern Bo-zens von dem westlich gelegenen neuen Stadtteil der italienischen Ansiedlung nach 1924 trennte. Damals plante der Duce Bozen in eine Industriestadt mit über 100 000 Einwohnern, vornehmlich aus dem Süden angesiedelt, zu verwandeln - eine Stadt, die vom architektoni-schen Aufbruch in die Moderne, wie sie das GIL-Gebäude repräsentierte, geprägt sein sollte.

Wie kann die Ressource einer solchen sichtbar starken Architektur vor dem Hintergrund ei-ner unsichtbaren aber ebenfalls starken atmosphärischen Gegebenheit ausgeschöpft und mit positiven Kräften aufgeladen werden, die das Trennende verbindet, die Geschichte ver-söhnt und eine Kontinuität in die europäische Zukunft vermittelt, für einen Inhalt, der sich geradezu dafür anbietet?

Kada löste den schwierigen Knoten des genius loci auf überzeugende Weise: Er schafft eine kleine „Wissenschaftsstadt“, eine Stadt in der Stadt, in der die überkommenen Teile in einen gleichgewichtigen Dialog mit der Architektursprache unserer Zeit eintreten. Ein architektoni-sches Raum-Zeit-Kontinuum, das imstande ist, die Aufhebung der geschilderten historischen Gegensätze zu symbolisieren. Eine Meisterleistung, die ihre Besonderheit noch dadurch er-fährt, dass es mit Kada nun wieder ein Österreicher ist, der die von den Italienern Miozzo und Mansutti begonnene Figuration der „verbindenden Unterschiede“ von Ort, Geschichte und Moderne, von Sichtbarem und Unsichtbarem – zu dem Architektur fähig ist! – weiterbe-fördert.

Alles dies ist dem Architekten in der Struktur eines wohlüberlegten städtebaulichen Konzep-tes gelungen:

Nach Norden, zur Drususstraße empfängt eine zur Brücke hin geöffnete Piazza den Besu-cher – ein symbolischer Gruß des Südens. Nach Süden, zur Eisack öffnet sich ein Land-schaftsgarten – ein symbolischer Gruß des Nordens. Zur „trennenden“ Talfer, heute ein bei-de Seiten verbindender Flusspark, öffnet sich sehr transparent ein neuer, gläserner Gebäu-deflügel, eine Bar lädt auch auf ihre Terrasse ein, man hört das Strömen des Wassers und der Horizont wird vom glühenden Rosengarten begrenzt. Nach Westen führt eine gedachte und reale Achse aus den alten und neuen Gebäudeteilen in die schönen Gärten der angren-zenden Villen.

So in die Umgebung eingebunden, verschränken sich die alten und neuen Architekturvolu-men der „Wissenschaftsstadt“ auch im Innern, horizontal und vertikal. Ihre völlig unterschied-lichen, ja gegensätzlichen Materialien – die gemauerten Massen des „Razionalismo“, pom-peianisch rot gestrichen, reflektieren in der doppelten Glasfassade der „High-Tech-Trakte“, durchdringen sich und verschmelzen in gleicher und doch so verschiedener Maßstäblichkeit für den Zweck des neuen Inhaltes.

Mag sein, dass dem technisch kundigen Betrachter über den Aufwand und die nicht immer eleganten Details der Klimafassade Zweifel aufkommen – diese Dinge treten hinter der über-zeugenden Gesamtkonzeption zurück.

Dem Architekten, der Architektur gelingt hier am Beispiel der Verknüpfung von Vergangen-heit und Zukunft die gebaute Symbolik eines neuen Miteinanders in Europa, das seine Res-sourcen, seine Denkmäler und Traditionen und seine sich befruchtenden Verschiedenheiten in dieser Weise nutzen und interpretieren sollte.

Andreas Gottlieb Hempel
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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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