Samstag, 17.08.2002 | Alpbacher Architekturgespräche

Der Architekt im Netzwerk-Zeitalter:
Renaissancefigur oder Seiltänzer?

Einleitung

Der Titel legt die Frage nahe: Absturz als Seiltänzer ins Netz? Freiberufliche Architekten ar-beiten jedenfalls ohne Netz – schon in der Renaissance, abhängig von der Fürstengunst. Vorab gesagt – der Architekt ist weder Renaissancefigur noch Seiltänzer. Eher schon macht er als Traumtänzer schlechte Figur. Zu den Varianten kommen wir noch.

Zunächst aber ein paar Worte zur Situation der deutschen Architekten:

Seit fast zehn Jahren stagniert die Zahl der freischaffenden Architekten in Deutschland bei ca. 40 000 obwohl jährlich ca. 5 000 Studienabgänger zu den bereits fast 110 000 bei den Kammern registrierten Architekten und den insgesamt geschätzten 160 000 Personen sto-ßen, die in diesem Beruf arbeiten.

In Deutschland werden drei Viertel des Branchenumsatzes von einem Drittel der freischaf-fenden Architekten erbracht. Die übrigen zwei Drittel der Kollegen weisen einen Nettojahres-umsatz von unter 250 000.- DM auf. Ihre Ateliers – ich sage bewußt nicht Büros, da sich die meisten als Baukünstler verstehen! – bestehen zu über 80 % aus nicht mehr als 3 Mitarbei-tern, eine davon ist üblicherweise die noch mitarbeitende Ehefrau zwischen Telefon, Schreibcomputer und Kindererziehung. Im Gegensatz zum kleinen Staate Dänemark, der 50% seiner Planungsleistungen exportiert, verkaufen nur 1% der deutschen Architekten ihr Know-How über die Grenzen. Das spricht Bände über das Verständnis des Netzwerk-Zeitalters oder der Anforderungen der Globalisierung mit den sich öffnenden Märkten.

Lassen Sie uns einen kurzen – feuilletonistischen - Blick auf den üblichen Tagesablauf eines kleinen Büros werfen um das Verständnis für die erforderliche Weiterentwick-lung der Kompetenzbereiche zu wecken:

Der Architekt betritt entgegen landläufiger Vorstellung frühmorgens sein Büro. Sein Stoppel-bart ist echt, er hat bis zwei Uhr nachts an seinem derzeit laufenden Wettbewerb geschrubbt und rasieren war so früh noch nicht drin. Der Blick seiner geröteten Augen fällt jetzt auf die offenbar gehetzt hingekrakelte Notiz seiner Sekretärin: Der Wind habe in der vergangenen Nacht die Plane vom Dachstuhl des Hauses M. gerissen und es regnet hinein. Bauherr M. tobt bereits durch den Anrufbeantworter.

Auf seinem Schreibtisch findet er über den von ihm gestern noch sorgfältig sortierten Ab-rechnungsunterlagen quer ausgebreitet Tekturvorschlagsskizzen zum gerade abgewiesenen Bauantrag der X-Bank. Gleichzeitig klingelt das Telefon: Übergangslos brüllt ihm der Hörer ins Ohr, wie er denn dazu käme, jetzt schon in dieser absurden Höhe eine Abschlagszahlung für den seit sechs Wochen fertiggestellten Entwurf für das Spekulationsprojekt Immoplus zu verlangen – es sei doch ausgemacht, daß erst gezahlt würde, wenn weiterverkauft sei.

Während er auf der anderen Leitung dem Projektsteuerer ausführlich erklären muß, daß die-ser die in siebzehnfacher Ausfertigung angeforderten Aufmaßpläne der Fertigungshalle der SIFF-Products schon längst per Boten erhalten haben muß, schlendert die blonde neue Auszubildende lässig ins Zimmer und fragt, wo sie denn die Essensmarken einlösen könne. Dabei stolpert sie über das noch nicht ordentlich verlegte Computerkabel, was den Totalver-lust der noch nicht abgespeicherten Abrechnungsdaten zur Folge hat.

Wie zum Hohn knistern die frisch ausgeplotteten farbigen Vorentwurfsperspektiven der kommunalen Grundschule im Luftzug des geöffneten Fensters, als ihm sein eben etwas ver-spätet angehetzter Projektleiter mitteilt, daß in der gestrigen Stadtratssitzung das über einen Wettbewerb gegen 735 Mitbewerber europaweit hart erkämpfte Projekt auf Antrag der Mehr-heitspartei Christlich Pensionierter Erzieher zugunsten eines Neubaus für ein Senioren-Fun-Center endgültig eingestellt wurde.

Anschließend füllt eine Projektbesprechung zum Umbau des Landratsamtes den Rest des Tages. Dabei sitzt der freischaffende Architekt alleine mindestens einem Dutzend beamteter Planer gegenüber. Jede Sparte hat mindestens drei überwiegend schläfrig-desinteressierte Vertreter entsandt. Die Entscheidung fällt schwer, ob die Waschbecken der Toiletten nur mit Kaltwasseranschlüssen versehen werden sollen. Der Referatsleiter - ein Baudirektor glei-chen Semester unseres Architekten - bemüht sich wortreich um Kollegialität. Lieber hätte er, der seine Frustration als Architekt in seiner üppig bemessenen Freizeit gelegentlich durch Wettbewerbsbeteiligungen bekämpft, die Entwurfsvorschläge seines Gegenüber grundle-gend aus seiner Sicht verbessert. Gegen fünf Uhr kommt leichte Unruhe auf und die Sitzung kann stechuhrgenau geschlossen werden.

Gegen sechs zurück im Atelier kann der eigentliche Arbeitstag unseres Architekten begin-nen: Erst die vierteljährliche Mehrwertsteuererklärung – danach aber wieder an den Wettbe-werb. Dazwischen der überraschende Anruf des Geschäftsführers der Treu-Schau-Wem-Bau: Ob er denn bereit sei, auf eigenes Risiko und honorarfrei – wörtlich fügte er noch hinzu: „Wir sitzen doch alle im selben Boot!“ - einen Bebauungsplan für eine Luxus-Wohnanlage mit 18-Loch-Golf-Court auf der Insel Rügen im Landschaftsschutzgebiet zu entwickeln. Im Ge-nehmigungsfall sei ihm der Planungsauftrag für 125 Wohneinheiten mit den Leistungsphasen 2 bis 4 nach HOAI bei Honorarzone III unten so gut wie sicher.

Der Architekt schluckte. Besser er nähme sich selbst dieser heiklen Aufgabe an, als sie ir-gend einem Kollegen – womöglich auch noch einem Ossi!- ohne Sinn für regionales Bauen zu überlassen. Er versprach, sich gleich am Wochenende mit ersten Entwürfen zu beschäfti-gen und strich im Geiste den seinen Kindern hochheilig versprochenen Fahrradausflug. An-schließend widmete er sich seinem Wettbewerb. Es wurde wieder spät.

Neben diesem nervenverschleißendem Architektenalltag, der nur demjenigen übertrieben erscheinen mag, dem nicht - wie zeitweilig auch mir selbst - dieser oder ähnlicher Irrsinn zum Alltag fernab einer wünschenswerten Normalität geworden ist.

Für die deutschen und die europäischen Architekten – im Zeitalter der globalen Markt-öffnung aber auch für die Architekten in aller Welt – würden folgende Bedingungen der Berufsausübung als Normalität gelten:

  1. In aussichtsreichem Wettbewerb – ohne Diskriminierung oder Behinderung auch interna-tional - akquirieren zu können um mit langfristigem Auftragsbestand finanziell abgesichert zu planen.
  2. Eine hohe Kreditlinie oder gar eine Kapitaldecke für Aquisition und Investition zu erwirt-schaften.
  3. Langjährig tätige und gut eingearbeitete Mitarbeiter mit ihrem Know-how halten zu kön-nen.
  4. Fachlich kompetente junge Kollegen ohne erforderliche Nachausbildung von den Hoch-schulen übernehmen zu können.
  5. Auskömmliches Honorar und damit Zeit für qualitätvolle und gründliche Planung zu ha-ben.
  6. Zeit für tiefgehende Fortbildung aber auch für rekreatives Nachdenken zu ermöglichen.
  7. Sich den Berufsaufgaben entsprechend politisch und berufspolitisch für die „res publica“ einsetzen zu können.
  8. Am geistigen Wettbewerb im echten Leistungsvergleich statt im Glücksspiel der Massen teilzunehmen.
  9. Planung kompetent, unabhängig und nicht in Konkurrenz mit Bauausführenden, Gene-ralunternehmern und Behörden durchführen zu können.
  10. Zu wissen und zu erfahren, daß Planungs- und Baukultur einen hohen Stellenwert im Selbstverständnis von Politik und Öffentlichkeit einnimmt.
  • Diese Liste könnte fortgesetzt werden – sie ist weit von der Realität entfernt. Aber in ihr ste-cken bereits die zusätzlichen Kompetenzbereiche, die sich die Architekten erarbeiten müs-sen. Eine lautlose Revolution der Bedingungen des Berufsstandes ist seit bereits längerer Zeit im Gange. Bedingungen, für die sich die Architekten oft erst noch Kompetenz erwerben müssen.

    Fünf Bereiche davon möchte ich schildern:

    1. Revolution der Planungsmethoden

    Heute ist es mit den elektronischen Medien möglich, die Besprechungsergebnisse des Vor-abends über Nacht durch eine indische Partnerfirma – bei denen ist durch die Zeitverschie-bung während wir schlafen Tag! – ausarbeiten zu lassen und am nächsten Morgen dem un-ter Druck galoppierender Zinsen stehenden Großinvestor und Bauherrn perfekt ausgedruckt zum Abnicken vorzulegen.

    Eine glitzernde Welt der Perfektion kann besichtigt werden, bevor sie überhaupt entsteht. Der Mensch, als möglicherweise einziger Störfaktor, erscheint auf allen Schaubildern mo-disch-frisch, neutral-sexy und nicht über dreißig. Solange ist es übrigens her seit den Zeiten des klecksenden Graphos und der unverbindlicher 6B-Bleistiftskizzen, die weniger über den Bau und mehr über die zeichnerische Handschrift des Chefs etwas aussagten.

    Die sachlich-sterilen Computergraphiken jedoch, mit ihren kühlen Farben, strahlen etwas Definitives und Korrektes aus. Kein Hauch von etwa unzuverlässiger künstlerischer Phanta-sie. Darstellungen und Pläne, die absolut justitiabel erscheinen und in ihrer Perfektion Rechtssicherheit vermitteln wollen.

    Das ist auch der erwünschte Effekt, denn der Perfektion der Planung stehen bisweilen gera-dezu vorsintflutliche Zustände auf den Baustellen gegenüber. Zwischen Planungs- und Aus-führungsmethoden scheint sich ein unüberwindlicher Abgrund aufgetan zu haben.

    Da die Rechtsprechung bei Bauschäden in der Regel auf angeblich fehlerhafte Planung zu-rückgreift, versuchen sich die Planer mit perfekter Planung, endlosen Besprechungsprotokol-len und Tausenden von Aktennotizen abzusichern. Jeder Planer weiß genau, daß Pläne auf den Baustellen nicht entfaltet und Schriftstücke nicht gelesen werden. Aber diese vielfach sinnlose Papierflut dient der eigenen Absicherung. Das Ziel, ein fehlerfreies Werk zu erstel-len, in dem die Planung ein Teil des Weges dorthin ist, reduziert sich darauf eine fehlerfreie Planung abzuliefern – danach die Sintflut.

    Die Revolution der Planungsmethoden hat längst stattgefunden -
    eine Revolution der Baumethoden jedoch scheint nicht in Sicht.

    Hier soll nicht die solide Arbeit vieler Baufirmen und Handwerksbetriebe übersehen werden. Auch nicht die zukunftsorientierten Systeme einiger weitsichtiger Produktenhersteller der innovativen Bauindustrie - vor allem in der Gebäudetechnik und im Fassadenbau. Aber wäh-rend wir einen Überfluß an mehr oder weniger qualifizierten akademisch ausgebildeten Pla-nern haben, fehlt ein breiter handwerklich qualifizierter Mittelstand im Baugewerbe. In Bayern gibt es z.B. derzeit mehr Architekturstudenten als Lehrlinge im Maurerhandwerk.

    Ein Ergebnis völlig verfehlter, die Handarbeit diffamierender Ausbildungspolitik.

    2. Auf dem Gebiet der Ausbildung, das doch die Kompetenzen erweitern sollte, ist kei-ne Revolution in Sicht. Aber gerade dort sind grundlegende Veränderungen nötig.

    Eine akademische Laufbahn sollte nur noch einer sorgfältig ausgewählten Elite offenstehen. Auf dem Bau und in der Bauindustrie fehlen uns vielfach die erstklassigen Mitarbeiter, die durch falschen Ehrgeiz zu zweitklassigen und allzuoft arbeitslosen Soziologen, Politologen, Psychologen und Architekten werden.

    Die Qualitätsmisere am Bau resultiert aus dem Mangel an hochqualifizierten Fachkräften, dem ein durchschnittlich mittelmäßig qualifiziertes aber riesiges Heer an Planern gegenüber-steht. Zwischen beiden im Schnitt unterqualifizierten Berufsgruppen fehlt zudem noch der Erfahrungsaustausch und der Wille sowie die Möglichkeit zur Teamarbeit.

    Im übrigen sollte niemand zum Architekturstudium zugelassen werden, der nicht eine be-standene Gesellenprüfung in einem Bauhandwerk vorweisen kann.

    Es geht allerdings darum falsche Berufsbilder zu korrigieren. Arbeit am Bau, in der Bauin-dustrie ist keine stupide Maloche aus Ziegelsteinschleppen und Betonmischen. Die Bauin-dustrie eines Hochtechnologiestandortes wie der Bundesrepublik kann in Zeiten grenzüber-schreitender Arbeit, Firmenkonzentration im Zeichen der Globalisierung und Know-how Transfers nur konkurrenzfähig bleiben, wenn ein radikales Umdenken in der Methodik und im Zusammenwirken der Gewerke erfolgt.

    3. Zur Veränderung der Baumethoden

    Wie schon erwähnt gibt es auch in der innovativ arbeitenden Bauindustrie High-Tech-Systeme von hoher Qualität. Was meist fehlt, ist die Kompatibilität dieser Bausystheme un-tereinander, damit ihre kompetente Verknüpfung durch den Architekten zu einem gesamten in Methode und Ablauf stimmigen Organismus des Gebäudes möglich wird. Den Planern steht dabei noch die Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung im Wege. Eine intel-ligente Verknüpfung möglicher kompatibler Bausysteme – so sie denn auf dem Markt ange-boten würden! – ist für die verschiedenen Bauteile so schon vom Ansatz her nicht möglich.

    Auch die ausschließliche Betrachtung der reinen Investitionskosten bei der Kostenberech-nung eines Bauwerkes vermittelt ein falsches Bild. Die Nutzungsdauer mit den dazugehöri-gen Betriebskosten, die Kosten für den Rückbau des Gebäudes und schließlich die umwelt- und ressourcenrelevanten Globalkosten für die Verwendung bestimmter Materialien würden ein ganz anderes Bild von den individuell und gesamtgesellschaftlich zu berücksichtigenden Kosten ergeben.

    Unter diesen Gesichtspunkten müßten in sich geschlossene aber auch untereinander kom-patible Bausysteme entwickelt und von dafür kompetent ausgebildeten Architekten verwen-det werden können um die aus ihnen konstruierten Gebäude nicht nur als geldwertmäßig abzuschreibende sondern als wirklich nachhaltige Investitionen zu planen.

    Bauen ist keineswegs eine Privatangelegenheit sondern prägt den öffentlichen Raum, das öffentliche Bewußtsein und die öffentliche Meinung. Gemeinhin wird nur dem ästhetischen Erscheinungsbild dieser Einfluß zugebilligt.

    Mit der heutigen Erkenntnis der Unwirtlichkeit unserer Städte, des Verlustes an freier Land-schaft, der Verschwendung von Energie und Ressourcen sind Baumethoden, die sich aus-schließlich über die reinen Baukosten definieren, gesamtgesellschaftlich nicht mehr zu ver-antworten. Architektur ist mehr als die Summe der gebauten Teile – sie schafft einen Mehr-wert, der sich in der Gestaltung, der Schönheit, dem Wohlbefinden und der Lebensqualität ausdrückt.
    Neue Baumethoden, kompatible Konstruktionssysteme und industrialisiertes Bauen auf ho-hem fertigungstechnischen Niveau müssen neben den vorher beklagten Ausbildungsstand der Arbeitskräfte auf den Baustellen auch diese veränderte Kostenbetrachtung einbeziehen.

    Faktoren wie die Kreislaufwirtschaft der Materialien, die Wiederverwendbarkeit nach dem Abbau auch in anderer Form, die einfache und kostengünstige Reparaturmöglichkeit und die Verringerung des Verbrauchs an Primärenergie und die Vermeidung Emissionen, vor allem von CO2, müssen die heutigen Baumethoden ebenso revolutionieren, wie die künftig unab-dingbare Kompatibilität intelligent aufeinander abgestimmter Bausysteme. Hier muß auch die Bauforschung in Zukunft eine umfassendere Rolle spielen und entsprechend kompetent ausgebildete Architekten einbeziehen.

    4. Veränderte Investitionsbedingungen und Verlust des Bauherren

    Da ist zum einen der Bauherr, der für sich selbst baut und an einer langen wirtschaftlichen Lebensdauer seines Gebäudes interessiert ist. Wenn er zudem in öffentlich bedeutender Position ist oder sich seinem Ansehen (im wahrsten Sinne dieses Wortes!) verpflichtet fühlt, bemüht er sich überdies um Gestaltqualität. Architektur ist das Ergebnis.

    Aber der Architekt hat immer seltener noch einen persönlich verantwortlichen Bauherrn vor sich. Gremien mit wechselnder Besetzung und nicht mehr personenbezogener Verantwor-tung haben den Bauherren abgelöst. Bauträger unterschiedlichster Art bauen für ihnen noch unbekannte Nutzer.

    Aber auch dem Bauträger ist die Gestaltqualität als Verkaufsargument nicht ganz unwichtig. Sie darf aber nicht teuer zu Buche schlagen und muß zusammen mit den übrigen Konstruk-tionen und Materialien zumindest die Gewährleistungsfristen überstehen und in dieser Zeit auch für die findigsten Rechtsanwälte der Käufer unangreifbar sein. Danach die Sintflut und das Geld der Käufer.

    So widersinnig das klingt: Das Geld der Käufer ist ein Problem. Ein weltweites Problem. Ar-beitsplätze fehlen allerorten – aber an Kapital ist kein Mangel. In Zeiten der Globalisierung suchen weltweit riesige virtuelle Kapitalströme nach Realisierung, nach Anlage in Immobi-lien.

    Dabei findet eine Revolution der Investitionsbedingungen für Bauherren statt.

    Das anzulegende Kapital hat den Bauherren dritter Hand geschaffen: Die großen Geldinstitu-te sind der Bauherr ersten Grades, obwohl sie nur im Bereich der Finanzierung auftreten. Mit diesem Geld treten große Baufirmen, Investmentfonds und Investoren mit Fremdmitteln als Bauherren zweiten Grades auf. Der Bauherr dritten Grades, derjenige, der das wirkliche Geld durch seine berufliche Tätigkeit verdient, ist der Käufer oder besser der Anleger, der nur in seltenen Fällen die zur Geldanlage erworbene Immobilie selbst nutzt.

    Der Käufer zahlt die Zeche gewissermaßen zweimal: Er kauft, um sein virtuell auf dem Konto befindliches Geld zu realisieren, es zu Verzinsen – wenn auch schlecht auf dem Immobi-lienmarkt, aber vermeintlich sicher, da sichtbar und wiederverkäuflich – und zahlt zum zwei-tenmal für Instandhaltung wegen minderwertiger Qualität. Die Verzinsung wird zur Verlust-zuweisung, was weiteres Geldverdienen voraussetzt. Ein Kreislauf, der weder dem Bauher-ren dritten Grades noch der Architektur und der gebauten Umwelt Vorteile bringt.

    Wer einmal Shanghai mit den großenteils leerstehenden Investitionsimmobilien gesehen hat, weiß wovon die Rede ist, wenn ein städtebauliches Endzeitszenario geprobt wird. Spekulati-ve Großobjekte minderer Qualität haben in ökonomisch, ökologisch, sozial und kulturell un-verträglicher Art und Weise die Stadt eingenommen und zum großen Teil zerstört.

    Die internationale Kapitalverwertung mit den global players der Bauindustrie sind die eigent-lichen Akteure – aber Bauherren? - die erwarteten Käufer sind die „Verbraucher“ –aber Bau-herren? - und die Architekten? - am Rande ziemlich unwichtige Dekorateure inmitten einer Revolution ihrer Berufsbedingungen.

    5. Die Globalisierung der Dienstleistungsmärkte führt zu tiefgreifenden Veränderungen der Berufsbedingungen.

    Die Architektentätigkeit wurde in der Vergangenheit traditionellerweise lokal oder regional ausgeübt. Das erklärt auch die Berufsstandsstruktur in Deutschland mit der großen Zahl von persönlich geführten kleinen Büros. Ausnahmen waren natürlich die Großbüros, die Gewin-ner von großen Wettbewerben oder die Kollegen mit den großen Namen, denen spektakulä-re Aufträge national und international angeboten wurden.

    Aufträge entstanden meist aus einem ebenfalls an die Person gebundenen Beziehungsge-flecht in der Kommune oder Region. Erwartet wurde vom Architekten die persönliche Prä-senz für den Bauherrn, im Einsatz für seine Projekte bei den Behörden und bei der Betreu-ung der Baustellen. Unerwartet auftretende Schwierigkeiten – geradezu ein Kennzeichen des Berufsalltags im Architekturbüro – konnten so rasch bearbeitet und die notwendigen Entscheidungen umgehend verantwortlich mit einem ebenfalls meist persönlich handelnden Bauherr getroffen werden.

    Auch wenn die meisten der Architekturbüros noch so arbeiten mögen und diese Präsenz von den Auftraggebern erwartet und geschätzt wird, haben sich vor allem die Bedingungen der Auftragsvergabe grundlegend verändert.

    Öffentliche Aufträge ab einer bestimmten Größenordnung müssen europaweit in bestimmter Methodik ausgeschrieben werden. Dabei müssen weitere Signatarstaaten der GATS-Verträge und Länder der EFTA, des europäischen Handelsraums einbezogen werden. Vor-aussetzung für eine reibungslose Ausführung dieser Aufträge ist die europaweit geltende gegenseitige Anerkennung der Berufszulassungen, die Niederlassungsfreiheit und das Ver-bot jeglicher Diskriminierung von Architekten der einbezogenen Länder.

    Aber auch über die EU hinaus haben sich die Möglichkeiten grenzüberschreitender Arbeit für die Architekten erheblich verstärkt. Dies ist vor allem auf die vorher schon erwähnten Anfor-derungen des Kapitalmarktes und die immer mehr international tätigen großen Baufirmen – die global players – zurückzuführen.

    Wer die Wirtschaftspolitik der Europäischen Kommission verfolgt, dem wird nicht entgangen sein, daß diese auf den Abbau aller Wettbewerbshemmnisse - also auch auf die Deregulie-rung z.B. berufständischer Sonderrechte – und auf den Schutz der Verbraucher gerichtet ist.
    In diesen beiden Zielen liegt die gesamte Problematik der Revolution der Berufsbedingungen für Architekten und Planer nicht nur in der Europäischen Union sondern im Rahmen der Glo-balisierung, d.h. den weltweit freien Austausch von Waren, Produkten und Dienstleistungen.

    Architekten sind Dienstleiter, denen einerseits der freie und faire Wettbewerbsbedingungen europaweit und im Rahmen der GATS-Verhandlungen weltweit ermöglicht werden sollen - vor deren möglicherweise mangelhaften Leistungen andererseits aber auch der Verbraucher geschützt werden soll.

    Das bedeutet, daß zum einen staatliche Regulierungen, wie zum Beispiel die Gebührenord-nung für Architekten und Ingenieure HOAI nicht zu halten sein werden und daß andererseits das besondere Angebot freiberuflicher Leistungen, der geistige Wettbewerb, im Gegensatz zu fertigen Produkten in angemessener Weise so geschützt werden muß, daß eine hohe Qualität dieser Leistungen, die nicht ausschließlich auf wirtschaftlich-materiellem Wettbe-werb beruhen dürfen, für den Verbraucher, den Kunden, den Bauherrn sichergestellt wird.

    Wie stellen sich die Architekten auf diese Veränderungen ihrer Berufsbedingungen ein?

    Nach der vorletzten GATS-Runde hat die internationale Architektenschaft – vertreten durch die Union Internationale des Architectes UIA – eine entsprechende Anregung der Welthan-delsorganisation WTO aufgenommen und begonnen, ein Abkommen, den Accord of Interna-tional Professional Standards for Architects“ über international gültige Berufsgrundsätze aus-zuarbeiten.

    Der „Accord“ ist das Ergebnis von Verhandlungen der Architektenvertreter aus über 110 Na-tionen über gemeinsam anerkannte Grundlagen der Berufsausübung von der Ausbildung von Architekten, deren Berufszulassung, deren Qualifikation, ihren Leistungen und Verhalten bis hin zu den Arbeitsbedingungen und Kooperationen in einem fremden Land. Der „Accord“ wurde inzwischen der Welthandelsorganisation WTO vorgelegt und geht in die nächste GATS-Runde ein.

    Internationale Wettbewerbe außerhalb der EU, für welche die Europäische Dienstleistung-sordung gilt, werden über die UIA /UNESCO Richtlinien ausgelobt.

    Die Architekturschulen sollen künftig über die UIA UNESCO Charta validiert und akreditiert werden können.

    Nachdem sich die UIA über viele Jahrzehnte über alle Grenzen und Ideologien für die Bau-kultur eingesetzt hat, sieht sie derzeit ihre Aufgabe vor allem darin, während der Globalisie-rung den Architekten berufspolitisch geregelte Arbeitsbedingungen zu verschaffen und dem „Verbraucher“, alias Bauherrn, gleichmäßig qualifizierte Voraussetzungen des Berufsstandes nachzuweisen.

    Es ist einleuchtend, daß es dabei künftig keine nationalen berufsständischen Reservate mehr geben kann, daß die Konkurrenz größer, international und qualifiziert sein wird – daß aber die Chancen grenzenlos Aufträge zu erhalten und auszuführen so groß werden wie noch nie zuvor.

    10 Fragen, denen sich die Architektenschaft stellen muß

    Die Architektenschaft – national und international - muß angesichts dieser Revolution der Berufsbedingungen überprüfen, ob ihre bisherige Form der Berufsausübung dafür geeignet ist unter den neuen Bedingungen zu bestehen:

    1. Ist die derzeitige Ausbildung noch dazu geeignet, den Architekten zu einem anerkannten Spezialisten für das Ganze werden zu lassen?
    2. Sind die Architekten mit ihrer heutigen Kompetenz und ihren Bürostrukturen noch in der Lage ganzheitliche Architektenleistungen von der Finanzierungsberatung, über Entwurfs- und Wirtschaftlichkeitsvarianten, mit qualifizierter Werk –und Detailplanung einschließlich Bauüberwachung bis hin zum Facility Management und der Gebäudeverwaltung zu ü-bernehmen?
    3. Können es Architekten künftig verantworten weiter Aufträge zu übernehmen, bei denen sie nur Teilleistungen bearbeiten?
    4. Wie sollen es die Architekten mit der Trennung von Planung und Ausführung halten?
    5. Kann sich der Architekt eine Kapitaldecke jenseits seiner Projekthonorare für aufwendige internationale Bewerbungsverfahren beschaffen?
    6. Werden die Architekten ohne staatlich garantierte Gebührenordnung in der Lage sein, ihren Bauherren transparente Honorarberechnungen in Verbindung mit nachvollziehba-ren Leistungen akzeptabel anzubieten?
    7. Werden es sich die Architekten künftig leisten können in Kohortenstärke, an offenen, nicht honorierten und anonymen Wettbewerben als Regelverfahren teilzunehmen?
    8. Eine Frage gilt weltweit: Kann es sich der Berufsstand künftig leisten, daß es möglicher-weise nicht zu viele aber bestimmt zu viele inkompetente Architekten gibt?
    9. Wird es gelingen, den Wert der Baukunst für den öffentlichen Raum, das kulturelle Selbstverständnis, den sozialen Zusammenhalt und den Schutz der gebauten und natür-lichen Umwelt im öffentlichen Bewußtsein so zu verankern, daß sie künftig die entspre-chende politische Förderung und Unterstützung erhält?
    10. Können im politischen Raum Möglichkeiten entwickelt werden, die besonderen Bedin-gungen des geistigen Wettbewerbs gegenüber dem reinen Preiswettbewerb im Bauen so herauszustellen, daß über die Vergabe von Bauleistungen nach architektonischer und nicht allein nach ökonomischer Qualität entschieden wird?
  • Bei der Beantwortung dieser Fragen muß es allgemein anerkannter politischer Grundsatz werden, daß Planen und Bauen nicht nur vom Denken in Mengengerüsten abhängig sein kann, sondern daß Qualifikation und Qualität statt vordergründig wirtschaftlich erscheinender Quantität die Voraussetzung für Stadtplanung und Architektur in einer immer enger werden-den und vernetzten Welt von heute und morgen sein müssen.

    Die Revolution frißt ihre Kinder – wer bleibt übrig?

    Welche Arten der Berufsausübung werden mit der Revolution der Berufsbedingungen für Architekten und Planer voraussichtlich übrig bleiben? Sicherlich wird es für alle jetzigen For-men der Berufsausübung Überlebensnischen geben – sie sind aber keine Überlebensgaran-tie, schon gar nicht zukunftsträchtige Felder der Berufsausübung

    Die nachfolgenden Modelle sollen zehn der zukünftigen Tätigkeitsfelder für Architekten und Planer unter den vorher geschilderten Veränderungen skizzieren:

    1. Der Regionalarchitekt

    Das ist der eher freundliche Ausdruck für den Planer, der seine Nische als „Unser Mann der alles kann“ im kommunalen und regionalen Umkreis als Drei-Mann-Büro gefunden oder ver-teidigt hat. Auf medizinischer Seite wäre er der Landarzt, der auch noch Hausbesuche macht. Unverzichtbar für viele Aufgaben, die es aber nicht mehr im bisherigen Umfang ge-ben wird, so daß auf den Großteil der 80% deutscher Kleinbüros verzichtet werden muß. Der Regionalarchitekt wird entweder nicht genug Aufträge haben oder sie nicht schaffen.

    2. Der Spezialist für An- und Umbau

    Schon heute bestehen über die Hälfte der Baufälle aus Erweiterungen, Umnutzungen, Um-bauten, Renovierungen oder Erhaltungsmaßnahmen. Allein im Rahmen der neuen Energie-einsparverordnung EnEV werden 24 Millionen Wohnungen in Deutschland wärmetechnisch zu Sanierungsfällen. Für Bauherren mit Renovierungsaufträgen ist es schwierig unter den bisher auf Neubauten fixierten Architekten qualifizierte Partner zu finden.

    Für diese Aufgaben müssen Architekten neue Leistungsformen anbieten. Grundvorausset-zung ist die ständige persönliche Präsenz für Beratung, Entscheidung und auf der Baustelle. Der Anteil der Planungsarbeit wird gegenüber der Bauüberwachung sinken. Große Zukunft wird die dauernde Zusammenarbeit mit gleichbleibenden bewährten Ausführungsfirmen und einem festen Handwerkerstamm als Bauteam haben.

    Die finanziellen und organisatorischen Fähigkeiten vorausgesetzt wird der Architekt dabei als Generalübernehmer hervorragende Chancen haben.

    3. Der Facility Manager

    Die Klagen der Hausverwaltungen keine kompetenten Architekten für den ständigen Bauun-terhalt zu finden sind nicht mehr zu überhören. Dabei sind die Existenzmöglichkeiten für Pla-nungsbüros auf diesem jährlich milliardenschweren Markt mit steigender Tendenz hervorra-gend und besonders für Kleinbüros in der Umorientierung auf neue Tätigkeitsfelder geeignet.

    Der Leistungsbereich des Bauunterhalts ist vor allem technologisch, wirtschaftlich und auch wissenschaftlich im Sinne des Facility Managements ausbaubar: Berechnungen über bau-physikalisches, funktionelles und wirtschaftliches Verhalten zur Lebensdauer eines Gebäu-des müssen aus der Bauunterhaltspraxis künftig verstärkt in die Neu- und Umbauplanung einfließen und werden diese entscheidend beeinflussen (Stichwort: Energiepass). Dazu ge-hört auch ein wissenschaftlich geführtes Datenmanagement.

    4. Der Koordinator

    Obwohl sich der Architekt als der Spezialist fürs Ganze versteht und dabei selber nicht alles erforderliche Spezialwissen anbieten kann, ist er doch häufig nicht zur notwendigen fach-übergreifenden Koordination und zur Führung eines entsprechenden Teams befähigt. Part-nerschaften vor allem junger Architekten gehen nur in seltenen Fällen lange gut, da sie meist nicht arbeitsteilig geschlossen werden sondern sich die Beteiligten konkurrierend auf den gleichen Feldern tummeln.

    Gerade von den Kleinbüros müssen aber - wenn sie erfolgreich und zukunftsorientiert über-leben wollen – akquisitions- und auftragsbezogen Kooperationsmodelle entwickelt und an-geboten werden, die sie zu größerer Flexibilität befähigen. Wer sagt denn, daß nur große Firmen in den Zeiten der Globalisierung eine Chance haben? Im Gegenteil, gerade die fall-weise gut eingeübte Kooperation kann bei weniger bürokratischem Verwaltungsaufwand zu mehr projektbezogener kreativer Effizienz führen ohne daß in Zeiten der Flaute ein kostspie-liger Apparat vorgehalten werden muß.

    5. Der Forscher und Systementwickler

    Zukunftsorientierte Tätigkeit für Architekten, die nicht selber bauen. Daß Bauforschung in einem High-tech - und exportorientiertem Land wie der Bundesrepublik ein ausgesprochenes Stiefkind ist grenzt geradezu an Selbstmord im Bauwesen. Mittel der Industrie, der Bundes-regierung  und der Europäischen Union warten auf intelligenten Abruf für innovative System- und Produktentwicklungen. Staatliche oder Hochschulinstitutionen erweisen sich als unfähig oder zu schwerfällig, die Industrie tritt eher als Sponsor denn mit eigenen Entwicklungsabtei-lungen auf.

    Hier tut sich ein enwicklungsfähiges und äußerst wichtiges Arbeitsfeld für kreative Architek-ten auf, die am konstruktivem und ingeniösem Denken für Systemlösungen, Funktionsabläu-fen und Materialfügungen interessiert sind.

    6. Der Wettbewerbsarchitekt

    Entwurfsbesessene, immer sehr junge Architekten, die nicht selber bauen wollen. Würden sie sich nämlich mit ihren spektakulären aber häufig unbaubaren Entwürfen in der Durchfüh-rung herumschlagen müssen, würde ihr Schwung erlahmen oder sie sind aus dem Alter raus. Ausnahme: der Stararchitekt.

    Auch in Zukunft werden junge hochbegabte Entwurfsarchitekten sich in Wettbewerben mit unbezahlter risikoreicher Arbeit verschleißen. Warum sollten sie dies nicht in dafür speziali-sierten Büros in Kooperation mit den durchführungserprobten Großfirmen tun, die einen Teil ihres Aquisitionsbudgets für sie ausgeben und von den Ergebnissen profitieren?

    7. Der Generalplaner

    Jeder Bauherr oder Auftraggeber möchte eigentlich nur einen Ansprechpartner. Er hat einen tiefsitzenden Horror davor, in Haftungsabwägungen zu Planungsfehlern zwischen Architekt und Statiker zu geraten oder Koordinierungsaufgaben zwischen Vermessungsingenieur und Bodengutachter wahrzunehmen. Der Abschluß von Verträgen mit drei Architekturbüros (Hochbau, Inneneinrichtung, Landschaftsgestalter) und siebzehn weiteren Ingenieurbüros verursacht ihm weitere Anwalts- und Verwaltungskosten, deren Sinn er nicht erkennen mag.

    Der kompetente und managementbewußte Architekt als Spezialist fürs Ganze nimmt ihm künftig diese Arbeit ab, ist der einzig Verantwortliche für die Planung und sorgt für die Kon-trolle und Überwachung der Ausführung im traditionellen Dreieck Bauherr / Planer / Unter-nehmer.

    Hier liegt die Zukunft darin, eine Bauaufgabe in allen Leistungsphasen und darüber hinaus ganzheitlich zu bearbeiten und zu verantworten. Als Generalplaner hat der Architekt die gro-ße Chance, bereits verlorengegangene Kompetenz zurückzugewinnen.

    8. Das Großbüro

    Nicht mehr an die persönliche Verantwortung eines freiberuflichen Architekten gebunden, als GmbH, AG oder anderer juristischer Person hat das Großbüro womöglich mehrere Nieder-lassungen. Die Persönlichkeit des Architekten als Büroinhaber wird durch ein Corporate I-dentity, die Duftmarke des Hauses ersetzt. Hervorragende Gebrauchsarchitektur für eine gleichbleibende und zufriedene Großkundschaft ist das Ziel.

    Diese Büroform wird neben den nach Bedarf einzufliegenden Stararchitekten in Kooperation mit einem lokalen Kollegen als einzige für die Strategie dauerhafter internationaler Arbeit geeignet sein. Die enge Zusammenarbeit mit Banken und global players der Bauindustrie sorgt für die notwendige Unterstützung kapitalintensiver Aquisition und Planungsvorläufe, ohne die ein Großbüro nicht gehalten werden kann.

    9. Das Consultingbüro

    Auch diese Büros übernehmen keine Bauaufgaben. Ihre Vertrauenswürdigkeit besteht eben gerade darin, nicht an der Aquisition eines möglichen Auftrages interessiert zu sein sondern den Kunden darin zu beraten, ob er überhaupt bauen soll, oder leasen, outsourcen, umbau-en, kooperieren. Das Consultingbüro weist auf Planungsverfahren hin, bereitet sie vor, ver-mittelt geeignete Planer und berät in den Bauherrenfunktionen aber auch über die Qualität von Architektur.

    Der Inhaber eines Consultingbüros muß über eine breite und solide Kenntnis aller Faktoren im Baubereich verfügen. Er ist kein Makler!

    10. Der Architekt als Unternehmer

    Diese Form der Berufsausübung hat alte Tradition in den Bauhütten und der Tätigkeit der früheren Baumeister. Alles in der Hand eines Unternehmers, der sein Produkt auf dem Markt anbietet. Sein Erfolg hängt vom Preis und der Qualität ab, alles Risiko liegt bei ihm. Der Ar-chitekt als Bauträger ist nicht neu und setzt neben den unternehmerischen Fähigkeiten Kapi-tal oder wenigstens eine entsprechende Kreditlinie voraus.

    Übrigens arbeitete der bedeutendste amerikanische Architekt, Frank Lloyd Wright, gelegent-lich auch als Unternehmer. Dafür hatte er nie Architektur studiert.

    Und außer Konkurrenz:

    Der Architekt als Künstler

    Wird heute gerne als Stararchitekt bezeichnet. Ihn wird es – siehe Frank Lloyd Wright – im-mer außerhalb der normalen Berufsbedingungen geben. Er jettet zu seinen Baustellen auf allen Kontinenten. Manchmal fällt er tragischerweise vom Gerüst, (Beispiel Carlo Scarpa in Japan) meistens aber realisiert er als eine Art unbestrittener Heilsbringer Projekte, an denen vor ihm alle einheimischen Matadore gescheitert sind (Beispiel Richard Meier in Ulm) , da Widerspruch oder gar Kritik politisch nicht korrekt und sowieso zwecklos ist.

    Der Stararchitekt bemüht sich allen Klischees über die Zunft zu entsprechen und sorgt dafür, daß der Berufstand in den Charts ganz oben ist (z.Zt. an zweiter Stelle nach den Journalis-ten). Für ihn gibt es keinen Studiengang. Den braucht er eigentlich auch nicht, da er sowieso selber unterrichtet und sich jede Menge studierter Architekten in seinem Atelier arbeiten wol-len. Auch umsonst.

    Der Stararchitekt gehört zu den Höchstbegabten, den Marketing- und Publicitywundern, den Markenzeichen, Trendsettern und Interviewpartnern. Auch wenn es noch einige unentdeckte Künstlerarchitekten gibt, so brauchen wir uns doch um ihn keine Zukunftssorgen machen – allenfalls um seine Bauherren. Aber: mehr als ein gutes Dutzend davon wird es gleichzeitig nie geben.

    ... eigentlich müsste es noch dringend eine weitere Planerzukunft geben

    Der politisch orientierte Stadtplaner.

    Also derjenige, der im Auftrag der Stadt- und Gemeindeparlamente die Perspektiven der Stadtentwicklung prägt und im politischen Raum vertritt.

    Früher war dies der Stadtbaurat. Aber in den vergangenen Jahren sind die Stadtbauräte im-mer mehr von der politischen Bühne verdrängt worden. Die Verwaltungsroutine hat man ih-nen gelassen, die Möglichkeiten für Visionen im öffentlichen Raum genommen. Je mehr die öffentlichen Angelegenheiten, die res publica, privatisiert wird, je öfter die uns alle betreffen-den städtebaulichen Entwicklungen den Wirtschaftlichkeitsberechnungen privater Investoren überlassen werden, desto pessimistischer müssen die Aussagen über die Zukunft einer de-mokratischen Stadtplanung und der für sie tätigen Personen werden.

    Dennoch: eine Zukunft für die Stadtplanung als öffentliche Angelegenheit!
    Sie ist die Voraussetzung für Baukunst, Stadtbaukunst und Architektur.

    Schlußbemerkung

    Eigentlich könnten uns die Berufsbedingungen der Architekten und der Planer gleichgültig sein -–solange noch Stadtbaukunst und Architektur entsteht, die diese Bezeichnung verdient.

    Jahrhundertelang sind aus einfachen Handwerkern bedeutende Architekten geworden (Pal-ladio war Steinmetz, Borromini Maurer und Michelangelo Maler, Dichter und Bildhauer), jahr-hundertelang gab es keine Architektenlisten und die Bezeichnung Architekt durfte auch ohne Abstrafung durch die Architektenkammern wegen fehlender Studienabschlüsse und Prakti-kumszeiten geführt werden ohne daß all die Scheußlichkeiten heutiger Vorstädte, die Zerstö-rung der Innenstädte und die Zubetonierung ganzer Küstenstreifen entstanden sind.

    Aber die ökonomischen, ökologischen sozialen und vor allem die kulturellen Bedingungen des Bauens haben sich grundlegend verändert. Das Hauptproblem der heutigen Menschheit ist die große Zahl bei gleichem Umfang des Globus. Wenn die Globalisierung nicht mit einer Umweltkatastrophe enden soll, wenn die nächste und übernächste Generation nicht nur ein-fach überleben sondern auch noch etwas zu lachen haben soll, dann müssen wir mit den uns heute zur Verfügung stehenden einzigartigen Planungsmethoden etwas dafür tun.

    Wir sollten es diejenigen tun lassen, die mit diesen Methoden umzugehen gelernt haben und sich trotzdem die Freiheit ihres Gewissens und ihrer Verantwortung so bewahrt haben, daß sie manches nicht nur nicht tun, sondern auch nach Kräften zu verhindern wissen.

    Die Architekten sollten dazugehören.

    Alpbach, 17. August 2002
    Alpbacher Architekturgespräche 020802.doc



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