Sonntag, 15.01.2006 | Universitätsstadt Brixen?

Universitätsstadt Brixen?

Immer noch gehen die Meinungen über das neue Universitätsgebäude in Brixen auseinander. Aber nach der festlichen Einweihung vor zwei Jahren ist dort längst der akademische Alltag eingezogen. Wir sind der Frage nachgegangen, wie sich der Bau in die Stadt, einfügt, wie sich seine Funktionen bewähren und ob Brixen wirklich zu einer Universitätsstadt geworden ist.

Die neue Universität ist in Betrieb

Drei Jahre ist es her, dass der „Brixner“ über das „Monument der Bildung“, den Bau der Freien Universität Bozen in Brixen ausführlich berichtete. Damals hatten die Architekten Regina Kohlmayer und Jens Oberst aus Stuttgart, die den internationalen Architektenwettbewerb zur Planung des Universitätsgebäudes gewonnen hatten, über ihre Gedanken zum Entwurf des Projektes berichtet. Der Bau war damals nicht fertig und man konnte die überzeugend dargelegten Absichten der Architekten noch nicht in der Wirklichkeit völlig nachvollziehen. Nun aber ist das „Monument der Bildung“ (wie der „Brixner“ den Neubau damals bezeichnete) schon eine Weile in Betrieb und es lohnt sich, den seinerzeit vorgestellten Gedanken nachzugehen um zu sehen, ob die gestellten Ziele auch erreicht worden sind.

Geteilte Meinungen über den Neubau

Wir versuchen dies deshalb, weil die Meinungen über diese Architektur im Stadtbild Brixens weit auseinander gehen und das moderne Erscheinungsbild der Universität direkt am Rande der Altstadt durchaus umstritten ist. Architektur könnte man als angewandte Kunst bezeichnen. Einerseits hat sie technische und funktionale Zwecke, die rational messbar sind, zu erfüllen andererseits aber erweckt ihr Erscheinungsbild wie bei jeder Kunst Emotionen, die auf Empfindungen beruhen, die nicht nur verstandesmäßig zu erklären sind. Dennoch sollte man Architektur – wie jede andere Kunst auch - nicht nur gefühlsmäßig akzeptieren oder ablehnen und subjektiv als „schön“ oder „hässlich“ abtun. Es gibt auch objektive Kriterien der Bewertung, die allerdings eine eingehendere Beschäftigung mit dem Thema voraussetzt um die Beurteilung eines Gebäudes in seinem architektonisch-künstlerischen Wert aus dem für die Allgemeinheit unverbindlichen Bereicht des persönlich Empfindens herauszuheben.

Städtebauliche Einfügung

Städte in den Bergen haben den Vorteil, dass man sie von oben betrachten und somit ihre Gliederung, ihre Strukturen und ihre herausragenden Monumente gut verstehen kann. Wer Brixen so von oben betrachtet, dem fallen zunächst zwei Dinge auf: die chaotische Zersiedelung um die Alstadt und die klar ablesbare Struktur der Altstadt mit der engen kleinteiligen Bürgerstadt der Lauben und die weitläufig angelegten Bereiche der ehemaligen Bischofsstadt mit Dom, Hofburg und Klosteranlagen. Hinzu kommt der im Verhältnis sehr große Domplatz und die mit Gärten durchgrünten Villenbereiche im Westen und Osten der Stadt, die noch in altösterreichischer Zeit entstanden sind. Wer nun am Rande der Altstadt ein so großes Gebäude wie die Universität zu planen hat, wird sich mit diesen Strukturen auseinander setzten. Die Architekten haben sich – schon wegen des beschränkten Grundstückes für die große Baumasse – entschieden, sich am benachbarten kompakten Komplex der bischöflichen Hofburg zu orientieren. Schaut man von oben auf die Stadt fällt die Ähnlichkeit von Masse, Maßstab und Umfang des Neubaus mit den Volumina der Hofburg sofort ins Auge. Hat die Hofburg im Norden den intimen Hofgarten so weist die Universität im Westen eine ähnlich dimensionierte Freifläche auf, die leider mit Ausnahme von ein paar Lindenbäumen eine betonierte Busbahnhofwüste an der befahrenen Brennerstrasse ist. Dennoch ist die städtebauliche Einfügung der großen Baumasse wegen dieser überlegten Übernahme vorhandener Strukturen äußerst geglückt, nicht zuletzt durch die Beschränkung in der Höhe und die Öffnung des Erdgeschosses auf Stützen, welche die Thematik der Lauben auf moderne Weise übernimmt.
Architektonische Einfügung

Natürlich kann sich ein moderner Universitätsbau nicht mit romantischer Altstadtcamouflage umgeben oder gar in pseudotirolerischer Verkleidung wie manch neues Großhotel in den Alpen daherkommen. Hier ist der architektonische Ausdruck unserer Zeit gefragt. Funktionale Anforderungen und moderne Fassadentechnik haben es nahegelegt mit einer transparent erscheinenden Architektur einen Kontrapunkt zu den massiven Gebäuden der Altstadt und der Bischofsstadt mit ihren gemauerten Lochfassaden zu setzen und damit die große Baumasse leichter, schwebender erscheinen zu lassen. Ist das geglückt? Leider nur teilweise. Wer sich eine leicht wirkende Glasfassade mit feingliedrig vorgesetzten Metallgestängen für Sonnenschutz und Reinigung vorgestellt hatte – eine Konstruktion, welche die großen der Fassaden spielerisch hätte auflösen können – sah sich getäuscht. Glasfassaden wirken nicht automatisch transparent. Im Gegenteil, tagsüber können sie glatt, dunkel und abweisend wirken. Erst am Abend, wenn sie hinterleuchtet sind erscheinen sie durchsichtig. Genau das ist auch bei der Brixner Universität der Fall. Zwar stellt die Fassade keine glatte Haut dar, in der sich die Umgebung spiegelt und damit das Gebäude selbst seltsam charakterlos erscheinen lässt aber durch den versetzten Wechsel von vertieft angeordneten Klarglasscheiben neben hervortretenden Glaselementen aus transluzentem Rohglas ergibt sich eine unerwartete Schwere des Erscheinungsbildes. Das Rohglas wirkt grünlich abweisend wie geschlossene Bauteile. Die stockwerksweise versetzte Anordnung der geschoßhohen Fassadenteile führt zu plumpen Eckausbildungen und einer Art Schachbrettmuster, das der Fassade eine zusätzliche Schwere und Anonymität verleiht. Das Ziel einer leicht wirkenden transparenten Fassade wurde leider verfehlt.

Die Architektur in ihren Details

Man könnte die Architektur als die Kunst der Fuge bezeichnen. Fugen entstehen dort, wo Bauteile und unterschiedliche Materialien aufeinandertreffen und zusammengefügt werden müssen. An diesen Stellen wird nicht nur über die Dauerhaftigkeit und Dichtigkeit einer Konstruktion entschieden sondern auch über die ästhetische Erscheinung der Details, die in ihrer Summe auch über die gesamte Gestaltqualität eines Baues entscheiden. Mangelnde Durcharbeitung oder gar Murks können da schon mal das beste Gesamtkonzept infrage stellen. Unbestritten haben wir es beim Neubau der Brixener Universität mit einer hochqualifizierten Ausarbeitung im Detail zu tun. Selbst die Schalungsfugen des Sichtbetons, der in allerhöchster Sorgfalt ausgeführt wurde, bilden ein wohlüberlegtes Netz um den gesamten Bau. Auch die Fügung der Metallelemente zu den Betonteilen sind hervorragend geplant und ausgeführt. Nicht zu reden von der innovativen Qualität der Fassade selbst – ein Meisterwerk der Fassadenbautechnik, trotz der vorher geäußerten Einwände zur architektonischen Gesamterscheinung. Bleibt nur die Frage, ob es wirklich notwendig ist, einfache Funktionen wie das Lüften von Räumen technologisch so anspruchsvoll und damit auch kostspielig auszuführen. Aber die konsequent durchgehaltenen Detailqualität unterstreicht den ernsten, ja fast kargen Charakter einer Architektur, die wohl das Erscheinungsbild einer fast klösterlichen Strenge für eine kontemplative Konzentration auf die geistige Arbeit akademischer Ausbildung ermöglichen soll. Diese architektonische Haltung kommt der ausdrücklich erwünschten Arbeitsatmosphäre in der Universität sehr zugute. Im Sinne der Detailausführung ist die Architektur des Neubaus außerordentlich gut gelungen.

Das funktionale Konzept

Das Raumprogramm und die räumliche Aufteilung einer Universität folgt natürlich dem didaktischen Konzept, das den Studiengängen zugrunde gelegt wird. Da sich solche Konzepte ändern können, muss der Bau natürlich auch eine gewisse Flexibilität aufweisen. Es gibt im Brixner Neubau grundsätzlich drei Raumtypen: für Vorlesungen, für Seminare und sog. Labors, das sind Räume, die für bestimmte Funktionen entsprechende Einrichtungen vorsehen (z.B. Musik, Naturwissenschaften usw.). Pädagogisches Grundprinzip ist das Lernen in Gruppen von maximal 25 Studierenden. Für die jetzt immatrikulierte 1 800 Studenten und etwa 250 Dozenten bietet das Haus nach Aussage des Dekans, Prof. Gerwald Wallnöfer, optimale Bedingungen. Das funktionale Konzept wurde in der Architektur so umgesetzt, dass ein Haus im Haus entstanden ist:: ein einhüftiger Ringbereich (außenliegende Einzelräume mit innenliegendem Flur) umschließen einen Kern, der mit Vorlesungssälen, Bibliothek, Mediathek, Speisesaal und zur Nutzung freien Flächen den vom äußeren Ring gebildeten Innenhof ausfüllt. In diesem Kern liegt auch die verschränkte Treppenanlage, die von den zwei Foyers – dem im Westen vom Busbahnhof und im Osten von der Altstadt zugänglichen – erreichbar ist. Nur die Bibliothek ist aus organisatorischen Gründen ausschließlich über einen zentralen Eingang erreichbar. Ansonsten soll sich das Prinzip der didaktischen Offenheit und Transparenz auch im Gebäude ausdrücken. Dies wird u.a. auch durch großzügige Verglasungen um den Kernbereich erreicht. Durch Lichthöfe und Lichtdecken kann das Tageslicht bis in das Untergeschoss einfließen. Im obersten Geschoss sind zwei offenen Terrassen angeordnet, welche die sehr knapp bemessenen Freiflächen ergänzen und sehr schöne Ausblicke über die Stadt und auf die Berghänge ermöglichen.

Die Atmosphäre

Von verschiedenen Seiten aus der Studentenschaft aber auch von manchen Dozenten ist die Meinung zu hören, das Gebäude strahle eine graue und kalte Atmosphäre aus, es fehle an Farbe und lebendiger, anregender Gestaltung. Interessanterweise kommen diese Einwendungen überwiegend von den deutschsprachigen Nutzern, die Italiener scheinen mit dieser Art der Atmosphäre weniger Schwierigkeiten zu haben. In der Tat wirkt das Gebäude auf den unvoreingenommenen Betrachter in den Innenräumen zunächst karg, kühl und schmucklos. Dekan Wallnöfer, der die Planung des Gebäudes von den Anfängen und als Mitglied der Jury des Architektenwettbewerbes auch während der gesamten Planungs- und Ausführungsphase entscheidend mitbegleitete gibt jedoch zu bedenken, dass ganz bewusst eine Atmosphäre der Konzentration auf das Wesentliche, der Kontemplation in der Art mönchischer Kargheit und der Meditation für ungestörtes Studieren gewünscht und angestrebt wurde. Dies sei mit der sehr konsequenten, sparsamen und auf das Wesentliche reduzierten Gestaltung seiner Meinung nach auch erreicht worden und würde von der überwiegenden Zahl der Studenten und Dozenten als sehr angenehm akzeptiert und in einer Zeit der Reizüberflutungen als konzentrationsfördernd empfunden. Natürlich seien von verschiedenen Seiten bereits Anregungen beispielsweise zu einer farblichen Ausgestaltung der Räume gekommen, diese Vorschläge seien aber zugunsten der genannten Konzentration auf das Wesentliche, der räumlichen Klarheit und deren meditativer Ausstrahlung immer wieder verworfen worden. Es müsse ja auch ein Unterschied sein zwischen privaten Räumen und den Räumen zum studieren, die eher eine neutrale Atmosphäre erfordern. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Innenräume einen sehr gepflegten Eindruck machen. Es fehlen völlig die an manchen Unigebäuden zu beobachtenden Schmierereien, Grafitti, Plakatierungen, Manifeste usw. Papierreste, Müll, Abfall liegen nirgendwo herum. Man achte eben sorgsam auf Ordnung, das Haus und den Umgang miteinander, so Dekan Wallnöfer.

Die Ausstattung

Wer bereits viele Universitäten besichtigt hat, wird zugeben müssen, dass die Ausstattung des neuen Gebäudes in Brixen von besonderer Qualität ist und seinesgleichen sucht. Da wurde an den Lehrmitteln und der erforderlichen Technik dafür nicht gespart. Alle Räume verfügen über die neuesten elektronischen Einrichtungen für Powerpointpräsentationen, Computeranschlüsse, Vernetzung usw. Das Mobiliar folgt der kargen und strengen Innenarchitektur ist aber von bester und dauerhafter Qualität. Die Architekten haben auch hier auf jeden modischen Gag verzichtet zugunsten einer Zurückhaltung, die nicht gleich das gestalterische Verfallsdatum in sich trägt – möglicherweise auch ein Grund für den nirgends zu beobachtenden Vandalismus, der sonst an Universitäten fast unvermeidlich erscheint. Es mag sein, das die Büros der Dozenten nicht den gängigen Wohnlichkeitsvorstellungen mancher Lehrpersonen entsprechen, die diese auch gerne auf ihre Diensträume übertragen möchten. Auch hier ist die fast mönchische Kargheit, die sich durch das ganze Gebäude zieht zu beobachten. Technisch fehlt es jedoch an nichts und ein konzentriertes Arbeiten ist trotz – oder gerade! – wegen fehlender Gemütlichkeit möglich. Ob allerdings jeder sich gleich mit der komplizierten Technik für Lüftung und Verschattung der Fassade anfreunden kann ist die Frage. Der Autor würde sicher lieber ein gewohntes normales Fenster öffnen oder schließen oder einen Vorhang zuziehen als elektrische Knöpfe für Klappen und Jalousien betätigen. Die klassische Mauerwerksbauweise mit schlichten Fensteröffnungen hat es Jahrhunderte lang auch ganz gut getan, vor allem was die Wärmespeicherung und Isolierung allein durch ihre Masse betraf. Vielleicht werden die Betriebs- und Unterhaltskosten dieser „innovativen“ Fassadenkonstruktionen eines Tages so unerschwinglich, dass man nolens - volens wieder zu dieser bewährten und stabilen Bauweise zurückkehren muss. Darüber ließe sich trefflich philosophieren, allerdings wohl kaum mit Architekten, die sich auf ihre Moderne etwas zugute halten.

Ist Brixen eine Universitätsstadt geworden?

Zum Schluss wollen wir dieser Frage nachspüren. Hat sich das tägliche Leben der Stadt durch die Universität verändert? Spürt man studentisches Leben in Brixen? Offengestanden – nein. Keine lärmenden Studentenkneipen, keine studentischen Jazzbands, keine In-Cafés für Studiker, keine Kellerhöhlen für verschworene Insider mit Einlasskontrolle, kaum Studenten im Stadtbild. In das neue Gebäude huschen zwar junge Leute hinein und huschen wieder hinaus – aber wohin? Sie bevölkern jedenfalls nicht mit anregendem Lärm und Geplauder die Straßen der Altstadt, demonstrieren nicht gegen irgend etwas, den Irakkrieg, Berlusconi, Bush oder die Mensagebühren so wie anderswo. Sie verschwinden nach getaner Seminararbeit ebenso lautlos wieder wie sie gekommen sind. Woran liegt das? Dekan Wallnhöfer hat dafür eine plausible Erklärung: die meisten Studenten kommen aus der näheren Umgebung und fahren wieder nach Hause, husch, husch, weg sind sie. Der Grund: kaum ein Student kann sich die überteuerte Wohnsituation in Brixen leisten. Große Wohnungen, wo Studenten auf klassische Weise ein Zimmer mieten könnten, gibt es in Brixen kaum. Ein Studentenheim fehlt. Also wohnen die Studenten nach Möglichkeit brav bei Ihren Eltern – eine studentische Szenerie wie in anderen klassischen Universitätsstädten kann so einfach nicht entstehen. Vielleicht ist die Uni ja auch noch zu kurz da und noch keine verwurzelte Einrichtung. Aber das kann ja noch kommen. Die Universität Brixen ist noch im Aufbau. Was bei den Studenten derzeit zu beobachten ist, gilt übrigens auch für die Dozenten. Nach anfänglicher Begeisterung für Brixen machen viele wieder einen Rückzieher bei ihrer Bewerbung, wenn sie das Preisniveau von Brixen vor allem bei Wohnungen erfahren. Dann doch lieber gleich München oder Innsbruck, also eine „richtige“ Universitätsstadt, die Brixen eben erst noch werden muss.

Andreas Gottlieb Hempel
15.01.2006
(2 103 Wörter / 15 421 Zeichen mit Leerzeichen)



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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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