Donnerstag, 11.01.2007 | Ensembleschutz in Brixens Fraktionen

Brixner 0107

Im Zeitalter der Globalisierung, des globalen Austausches und Tourismus, drohen Identität und Eigenheiten der Regionen im Einheitsbrei von Durchschnittsarchitektur und allgemeiner Nivellierung verloren zu gehen. In vielen Teilen Europas wird der Ensembleschutz bereits als eine Maßnahme betrachtet um den Charakter der gebauten Umwelt zu bewahren. In Südtirol scheint er allerdings nicht auf allgemeine Zustimmung zu stoßen.

Ein Ensemble ist ein Baugruppe oder eine Landschaftssituation, die ortsbild- bzw. landschaftsprägend zur Identität einer Region beiträgt. Ensembles sind durch Bautradition, Baukultur und die Arbeit von Menschen für ihre Kulturlandschaft in Jahrhunderten entstanden. Sie tragen dazu bei, dass sich die Menschen in ihrer Heimat zu Hause fühlen, dass diese für sie unverwechselbar ist.

Verlust der Mitte
Leider hat sich in unserer Zeit alles beschleunigt. Noch nie ist soviel und – leider muss man das feststellen – so hässlich gebaut worden. Für das, was frühere Generationen mit sicherem Gefühl passend in der Bautradition ihrer Heimat fortgeführt haben, ist offensichtlich der Maßstab, das Maßhalten – die Mitte sozusagen – verloren gegangen. Und es ist sehr schwer, dasjenige mit gesetzlichen Maßnahmen zu erzwingen, was die Menschen von heute nicht mehr als angemessen erkennen. Dennoch versucht z. B. die Denkmalpflege zu verhindern, das die Zeugnisse der Vergangenheit nicht gedankenlos abgerissen oder verunstaltet werden. Der Denkmalschutz ist jedoch nur für Einzelbauten wirksam - leider auch nicht immer, wenn man an den Verlust zahlreicher historischer Bauten denkt, die wirtschaftlichem Gewinnstreben zum Opfer gefallen sind. Für zusammenhängende Ortsbilder, Straßen- und Platzräume und besonders typische Situationen gab es bisher keinen regelnden Schutz.

Ensembleschutz – ein wirksames Hilfsmittel?
In verschiedenen Regionen Europas hat sich der Ensembleschutz bereits über Jahrzehnte bewährt, etwa in Bayern seit über dreißig Jahren. Der Ensembleschutz fordert von den Planern und Architekten bei Baumaßnahmen im ausgewiesenen Ensemblebereich eine genauere und sorgfältigere Bestandsaufnahme. Allein durch die genaue Kenntnis von Maßstab, Material und Struktur der Umgebung wird ein fachlich geeigneter und sensibler Planer seine Planung entsprechend einpassen. Darüber hinaus ist er verpflichtet, diese zusammen mit der umgebenden Situation in Plänen, Modell und Fotosimulation auch für die Beurteilung durch die genehmigenden Behörden nachvollziehbar darzustellen. Mit diesen sicherlich aufwendigen planerischen Maßnahmen kann bereits eine höhere Gestaltungsqua-lität im Sinne des Ensembles erreicht werden. Die Wahl eines qualifizierten Planers ist für den Bauherrn dabei allerdings Voraussetzung. Überhaupt wird sich ein verantwortungsbe-wusster Bauherr seiner Umgebung verpflichtet fühlen, aber wie viele Neubauten zeigen, ist dies nicht immer der Fall. Besonders dann nicht, wenn die Baumaßnahme von einem vielleicht sogar ortsfremden Investor zum Weiterverkauf durchgeführt wird.

Ensembleschutz in Südtirol
In Südtirol wurde der Ensembleschutz erst relativ spät eingeführt. Die Zersiedelung von Dör-fern und Landschaften unserer Region in den vergangenen zwei Jahrzehnten veranlasste die Landesregierung entsprechende Bestimmungen zu erarbeiten nach denen die Städte und Gemeinden bis zum April 2006 die Verzeichnisse von Ensembles in ihrem jeweiligen Bereich der Ensemblekommission des Landes hätten vorlegen sollen. Dieser Termin wurde aber nur von zwei Gemeinden eingehalten: Branzoll und Brixen-Stadt. In 80 von den 116 Südtiroler Städten und Gemeinden wurden keine Maßnahmen zur Festlegung von En-sembles getroffen. In der Mehrzahl wurden auch die Bürger nicht von Sinn und Zweck des Ensembleschutzes unterrichtet. Dadurch wurden wohl falsche Vorstellungen vom Sinn des Ensembleschutzes geweckt. Der Bauernbund vermittelte seinen Mitgliedern beispielsweise den Eindruck, dass der Ensembleschutz Hoferweiterungen fast unmöglich mache. Kürzlich hat sich allerdings der Pusterer Bauernbundobmann Viktor Peintner mit Landesrat Michel Laimer, den Heimatpflegern und der Plattform pro Pustertal solidarisiert und ist für den En-sembleschutz eingetreten. Die Stimmung, dass der Ensembleschutz eine weitere Zwangsja-cke für Baugenehmigungen sei und den Bestand unter eine „Käseglocke“ stelle war wohl für die Fraktionen um Brixen der Grund, dass keine der Brixner Fraktionen, die im Auftrag der Gemeinde Brixen von Arch. Robert Folie, Dr. Helmuth Staffler und Arch. Claudio Polo erar-beiteten Ensemblefestlegungen beschlossen und eingereicht hat.

Überprüfung in den Brixner Fraktionen
Der Verein heimatBrixen/Bressanone/Persenon hatte deshalb den gesamten Sommer 2007 über in Ortsbegehungen der Fraktionen prüfen wollen, ob die in den Fraktionen festgelegten Ensembleabgrenzungen sinnvoll sind. Insgesamt wurden die Fraktionen Tils, Pinzagen, Pairdorf, Tschötsch, Karnol, Mairdorf, Mellaun, Klerant, Albeins, Sarns und Elvas besucht und anhand der Festlegungen der Gemeinde Brixen Texte und Abgrenzung auf ihre Schlüs-sigkeit untersucht. In sechs Kolumnen hat der Verein im „Brixner“ diese Begehungen kom-mentiert und am 30. November in der Cusanus-Akademie eine gut besuchte Veranstaltung zum Thema des Ensembleschutzes in den Brixner Fraktionen abgehalten. Es sprachen der Obmann des Heimatpflegeverbandes Peter Ortner zu den Zielen des Ensembleschutzes, Prof. Andreas Gottlieb Hempel mit umfangreichem Bildmaterial zu den Erfahrungen in den Fraktionen und Architektin Ingrid Mitterer über die Beratung einer Hofstelle im En-sembleschutzbereich oberhalb von Klausen.

Folgerungen
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Ensembles in den Fraktionen offenbar unter großem Zeitdruck vorgeschlagen wurden. Sie umfassen zum Teil Bereiche mit Gebäuden unterschiedlichster Art, so dass für einen Bauwerber die Beurteilung der Qualitäten  eines Ensembles schwierig wird – wonach soll er sich in einem heterogenen Ensemble denn nun richten? Meist wären mehrere kleinere Ensemblebereiche besser für die Charakterisierung einer Baugruppe oder besonderen Situation als ein zu großer Umfang, der zuviel Unterschiedliches enthält. Zudem sind die meisten Beschreibungen der Ensemblecharakteristik zu wenig aussagekräftig als dass sie dem Bauwerber und Planer eine klare Grundlage bieten könnten. Hier muss unbedingt noch eine verfeinernde Nacharbeit geleistet werden. Dabei muss es auch darum gehen, was denn nun in direkter Nachbarschaft zu einem Ensemble aber außerhalb dessen Grenzen geschehen soll. Kann dort wild drauflosgebaut werden?

Information tut not!
Um den Ensembleschutz wirkungsvoll in Kraft treten zu lassen ist dringend mehr Information für die direkt Betroffenen erforderlich. Dabei muss ganz klar gemacht werden, dass es um den Erhalt der Identität der Südtiroler Orte und Kulturlandschaften geht – sie ist neben der Heimat für die Bewohner auch das Kapital für das wirtschaftliche Standbein Nr. 1, den Tourismus. Das Gesetz zum Ensembleschutz ist klar definiert und in den Ausweisungskriterien eindeutig geregelt. Die Bautätigkeit wird weder ausgeschlossen noch behindert, Ensembles nicht als unveränderlich betrachtet und die Betroffenen haben durchaus ein Mitspracherecht und können Änderungen einbringen. Erforderlich ist jedoch eine klare Entschlossenheit der Politik, den Ensembleschutz auch durchzuführen und die eigenen Vorgaben umzusetzen. Da scheint es sowohl in der Landes- als auch in der Kommunalpolitik aus den unterschiedlichsten Gründen noch weit zu fehlen.

Andreas Gottlieb Hempel
(1.011 Wörter / 7.555 Zeichen mit Zwischenräumen)



:: Home :: Impressum :: Sitemap

15.01.2020
Häuser des Jahres

15.01.2020
Die Bozner Freiheitsstraße

Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
Otto von Guggenberg Str. 46   I-39042 Brixen (BZ)   Italien
Tel Studio 0039-0472-836317   mobil 0039-349-7969334
privat 0039-0472-679076   e-mail info@agh.bz
Seite drucken Webseite zu den Favoriten hinzufügen