Donnerstag, 12.07.2007 | Jugendwahn oder Altersweisheit?

Im Jahr 2050 werden in China so viele 65-Jährige leben wie heute auf der ganzen Welt. Die Zahl der Jugendlichen in Deutschland verringert sich bis dahin von 18 auf 10 Millionen während sich die Anzahl der über 80-Jährigen verdreifachen wird. Deshalb wird jene Gesellschaft künftig am erfolgreichsten sein, deren Ziele das Alter schöpferisch machen. Zur Zeit ist mit dem verbreiteten Jugendwahn jedoch das Ge-genteil der Fall.

Heute beträgt die Lebenserwartung der Frauen 85 Jahre und die der Männer 80 Jahre. Das gesetzliche Rentenalter beträgt dagegen 65 Jahre, das tatsächliche jedoch 63 Jahre (Deutschland). Wenn der Altersquotient, nämlich das Verhältnis der Anzahl der nicht mehr erwerbsfähigen Menschen zu jener der Erwerbsfähigen, in der Projektion auf das Jahr 2050 gleich bleiben sollte, dann müsste das Rentenalter auf 75 Jahre hinaufgesetzt werden, sonst läge die Last des Unterhalts von immer mehr Großeltern auf den Schultern immer weniger Enkel. Es sei denn, die Altersver-schiebung würde durch umfangreiche Zuwanderung aus Entwicklungsländern aufgehalten. Ohne eine gesteigerte Zuwanderung läge die Zahl der Italiener am Ende dieses Jahrhunderts bei der jetzigen Geburtenrate nur noch bei 10 Millionen.
Wer sich heute in den Medien umschaut, findet in der Werbung ausschließlich schön herausgeputzte Menschen zwischen 16 und 25, also im Ausbildungsalter, in dem sie die angepriesenen Waren meist noch gar nicht mit eigenem Geld kaufen können. Die Zielgruppe der Konsumenten sind vielmehr Menschen am Ende ihres Erwerbsle-bens. Ähnliches gilt für Stellenangebote für Führungskräfte: Gefordert werden abgeschlossenes Hochschulstudium, Mehrsprachigkeit, Auslandserfahrung, längere erfolgreiche Tätigkeit in der gefragten Berufssparte und Teamfähigkeit bei einem Al-ter von höchstens Mitte 30 – da muss man schon ein Wunderkind sein. Oder eben eine gestandene und erfahrene Persönlichkeit in jenem Alter, in dem heute auf der Führungsebene aus Altersgründen bereits wieder gekündigt wird obwohl ihre Erfahrung und ihr menschlicher Wert eigentlich unersetzlich ist
Wer Vergleiche zwischen den Generationen der Südtiroler zieht, findet bei den „Alten“ noch Menschen mit Werten, die jenseits des puren Wirtschaftlichkeitsdenkens liegen, denen die Eurozeichen nicht in den Augen stehen, die den Wert ihrer Heimat nicht nur nach Kubatur berechnen, die bei Wanderungen im Gebirge noch grüßen, sich bekreuzigen und Dank sagen können. Es sind oft Menschen, die mit über 65 noch ungeheuer vital und kreativ sind, Ehrenämter übernehmen, sich weiterbilden, anspruchsvollen Sport betreiben, keineswegs so verfettet sind wie manch wesentlich Jüngere, reisen und immer noch einmal im Jahr den Sass Rigais besteigen. Von der vom Jugendwahn besessenen Gesellschaft wird ihnen allerdings eingeredet, dass man keinem über 30 trauen dürfe, dass mit 40 die biologische Uhr der Frauen abgelaufen sei, dass mit 50 der Platz an der Spitze geräumt werden müsse und dass man sich mit 60 für die Frühpensionierung entscheiden solle und ab da das Maul zu halten habe, das Testament schreiben und sich in einem Altersheim anmelden solle.
Dabei wird völlig übersehen, dass demnächst der immer spärlicher werdenden Grup-pe der Jungen ein überwältigendes Heer von Alten gegenüberstehen wird, das sich weder wegen des fortgeschrittenen Alterns diskriminieren noch vorzeitig entmündi-gen lassen wird. Im Gegenteil, die Alten werden gesellschaftliche und wirtschaftliche Leistungen übernehmen müssen, welche die Jungen in ihrer Minderheit gar nicht mehr erbringen werden können.
In Zukunft wird es deshalb darauf ankommen, die Vitalität und Kreativität der „Alten“ zu nutzen, Ältere weiterzubilden, sie mit ihren Erfahrungen im Beruf zu halten und sie noch stärker in Kinderbetreuung und Ehrenämter einzubinden. Um die immer weni-ger werdenden Jungen nicht völlig zu überlasten sollten möglichst viele Ältere länger arbeiten. Dabei muss dafür gesorgt werden, dass die Pflegebedürftigkeit herausge-schoben wird. Dass kann nur durch eine Altersforschung geschehen, die nicht nur die gesellschaftlichen Vorurteile gegenüber den Älteren abbaut sondern vor allem auch die natürlichen Alterungsprozesse durch medizinische Maßnahmen und Verän-derung der Lebensweise verlangsamt. Hier sind derzeit große Defizite zu verzeich-nen, da immer noch die Altersweisheit gegenüber dem Jugendwahn in unserer Ge-sellschaft zurückstehen muss. Dies wird sich rächen, wenn der Realität einer über-wiegend überalternden Gesellschaft nicht entsprochen wird.



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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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