Dolomiten Baukultur Juli 2007
In Südtirol kann man alles von Oben sehen. Von den Bergen aus erkennt der Wan-derer fast alles, was im Tal an Baulichkeiten errichtet wird und wie es sich in die empfindliche Kulturlandschaft einfügt. Bei unserer Diskussion über Einkaufszentren und Gewerbegebiete haben wir die alte Bischofsstadt Brixen einmal so betrachtet.
Etwa acht Prozent der Fläche Südtirols eignet sich nur zur dauerhaften Besiedelung und ständigen Bewirtschaftung. Das ist unsere Kulturlandschaft, die durch den Fleiß der Menschen über Jahrhunderte ihre Gestalt gewonnen hat, Grund für die Anzie-hungskraft, die sie bisher ausgeübt hat. Der Charakter der Kulturlandschaft ist im Wesentlichen durch eine kleinteilige Landwirtschaft mit Mischcharakter geprägt worden. Diese Wirtschaftsweise wurde nach dem ersten Weltkrieg durch die In-dustrialisierung vor allem um Bozen verändert und in den letzten Jahrzehnten durch überwiegend kleinteilige Gewerbestrukturen und Dienstleistungen verdrängt. Auch die Landwirtschaft ist zur Monokultur übergegangen. Ein Beispiel sind die Ap-felplantagen im Vinschgau. Südtirols Wirtschaft ruht heute auf den drei Säulen Landwirtschaft, Tourismus und Gewerbe. Gerade für den letzteren Bedarf wurde in Südtirol in den vergangenen Jahren mehr als je zuvor gebaut. Aber der Wohlstand daraus erscheint aus der Sicht des Landschaftsverbrauchs und der Baukultur teuer bezahlt.
Wer beispielweise einmal den Brixner Höhenweg hoch über der Stadt entlang wan-dert, erkennt, das der historische Stadtkern Brixens inzwischen den kleinsten Teil der bebauten Flächen einnimmt. Dicht gedrängt, mit urbaner Mischnutzung und gut gepflegt bildet die Altstadt den immer noch klar erkennbaren Mittelpunkt eines fast uferlos erscheinenden Siedlungsbreis. Von Oben erkennt man gut, wie sich um die Altstadt herum in der altösterreichischen Zeit vor dem Ersten Weltkrieg noch eine neue städtebauliche Struktur gelegt hat: Pavillonartige herrschaftliche Villenbauten in Gärten mit schönen alten Bäumen. Aber danach verlieren sich erkennbare städtebauliche Strukturen. Was unsere Zeit zur Stadterweiterung in Brixen beige-tragen hat kann man mit Ausnahme der Neubausiedlung Rosslauf nur noch als Zersiedelung bezeichnen. Aber auch der Rosslauf, von Oben betrachtet noch eine zusammenhängende Stadterweiterung, entpuppt sich bei näherer Betrachtung der Einzelbauten als ein Beispiel des gestalterischen Chaos unserer Tage. Aber auch die großzügigen Villengrundstücke der k.k. Zeit werden mehr und mehr aufgeteilt und mit Neubauten durchsetzt, deren Qualität nicht immer an den Bestand heranreicht.
Vielmehr ins Auge fallen von Oben gesehen jedoch die Wucherungen der Gewerbe-bauten im Süden der Stadt und im Norden, wo die Gewerbesteppe bereits zu gro-ßem Teil im Gemeindegebiet von Vahrn liegt. Die einstmals so schöne Auenland-schaft westlich des Eisack ist – von Oben gesehen – einfach dicht zugebaut. Da macht man sich seine Gedanken, welchen Eindruck wohl ein mit dem Auto auf der Staatsstraße Durchreisender von der Stadt haben mag, wenn er von Norden oder von Süden kommend in die Stadt einfährt, die für ihre Baugeschichte so berühmt ist. Viel sieht er nicht davon. Kommt er von Süden, von Klausen, aus der Enge des Ei-sacktales, so sieht er das sich weitende Brixner Becken mit einer Hochstraße ver-stellt. Eine konstruktiv aufwendige Brücke bildet dazu eine unpassende Landmarke. Wenig vermittelndes Grün. Ebenso wie bei der Einfahrt von Norden, wo die unter-schiedlichsten Bauformen, Groß und Klein, beziehungslos aneinandergereiht stehen. Wer Brixen im Inneren noch nicht kennt, der wird schauen, dass er rasch weiter kommt.
Wie konnte dieses für die alte Bischofsstadt so unwürdige Durcheinander entstehen? Offensichtlich war man froh über jeden sich niederlassenden und steuerzahlenden Betrieb und hütete sich ihm mit Bauvorschriften, Gestaltungssatzungen oder Grün-ordnungsplänen die Laune zu verderben. Das Ergebnis haben nun alle Bürger, Gäste und Besucher zu verkraften. Was kann getan werden? Brixen hat sich durch eine vorausschauende Politik eine hervorragende Infrastruktur geschaffen. Citybus, Kläranlage, Rad- u. Fußwegenetz, Fußgängerbereiche, Fernheizung, Ausbildungseinrichtungen, Altstadtrenovierung usw. usw. sind beispielhaft. Nicht einzusehen, dass die Baukultur in den Gewerbegebieten zu kurz gekommen ist. Noch besteht die Chance zusammen mit dem geplanten Leitbild für die Stadt mit einem umfassenden Masterplan Zeichen zu setzen: Klare Bau- und Gestal-tungsvorschriften für Höhe, Masse und Erscheinungsbild zusammen mit einem Grünordnungsplan könnten die heutige unbefriedigende Situation deutlich verbessern. Begleitende Baumpflanzungen entlang der Einfallstraßen könnten das bestehende bauliche Durcheinander zumindest gnädig verhüllen und eine Durchgrünung der Gewerbeflächen würde neben der Verschönerung des Stadtbildes auch die Bedingungen für die dort Arbeitenden verbessern – vom gefälligeren Anblick von Oben einmal ganz zu schweigen!
Andreas Gottlieb Hempel