Dienstag, 10.06.2008 | Sinnvoller Schallschutz?

Brixner 02/2008 2
Ein Pilotprojekt der Südtiroler Landesregierung und der italienischen Eisenbahnge-sellschaft sieht vor, dass ab 2008 rund acht Kilometer Schallschutzwände für zwölf Millionen Euro entlang der Bahnlinie Brenner – Salurn gebaut werden sollen. Ist die-se zunächst erfreulich scheinende Maßnahme wirklich sinnvoll?

Zu ihrer letzten Ratssitzung im Jänner 2008 hatte die Bezirksgemeinschaft Eisacktal den Direktor des Landesamtes für Luft und Lärm der Landesagentur für Umwelt, Dr.-Ing. Georg Pichler, zu einem Vortrag zum Thema „Lärmschutzmaßnahmen im Ei-sacktal“ eingeladen. Grund für diese Einladung waren die Klagen und Sorgen, die von den Anwohnern der Bahnlinie durch das Eisacktal an die Bezirksgemeinschaft herangetragen wurden. Der Lärm der Bahn wird nicht nur emotionell empfunden - auch Messungen beweisen einen unzumutbar hohen Lärmpegel entlang des Bahnkörpers.

Während etwa 50 Dezibel (dB) bei einer Unterhaltung gemessen werden so sind die rund 90 dB des Lärms, den ein vorbeifahrender Güterzug verursacht bereits gesundheitsgefährdend. Wer länger solchen Geräuschen ausgesetzt ist, dem droht Lärmschwerhörigkeit, die nicht heilbar ist. Ebenso erhöht dieser Lärm die Anfälligkeit für Herzinfarkte in besonderem Maße.
Georg Pichler berichtete nach diesen und anderen Grundlagen zur Auswirkung von Schall, dass die Italienische Eisenbahngesellschaft RFI zusammen mit dem Land Südtirol ein Schallschutzpilotprojekt an der Brennerbahnstrecke in diesem Jahr durchführen wird. Insgesamt etwa acht Kilometer Lärmschutzwände sollen an kritischen Punkten gebaut werden. Im Eisacktal sind für Klausen 380 Meter vorgesehen, für Brixen 180 Meter, für Franzensfeste 300 Meter und für Sterzing 600 Meter. Anhand von Messungen hat sich jedoch herausgestellt, dass Schallschutzwände nur wenig zur Senkung des Lärms beitragen können. Für das Erdgeschoss eines direkt angrenzenden Gebäudes reduziert sich der Lärm um ca. 12 dB – hier ist die Schallschutzwand am wirkungsvollsten – im 1. Obergeschoss beträgt die Reduzierung nur noch die Hälfte und sobald die Lärmquelle, nämlich die Räder des Zuges, beispielsweise vom Hang aus zu sehen ist, findet keine Lärmreduzierung mehr statt. Gerade im bergigen Gelände wie im Eisacktal bringen also Schallschutzwände entlang der Geleise denjenigen, die am Hang oben wohnen keine Verbesserungen – im Gegenteil, der Schall breitet sich parabelförmig aus und ist in etwa dreißig Meter Höhe über der Schallquelle am Hang am stärksten zu hören. Zudem wird in unseren Tälern der Schall von den Hängen auch noch reflektiert – Zuglärm bei Brixen ist oben in den Siedlungen um Tils und St. Andrä zu hören.

Das Ergebnis der Ausführungen von Georg Pichler war für die Bezirksräte ganz eindeutig: Schallschutz muss an der Lärmquelle, also an den Waggons der Bahn erfolgen. Vor allem bei den Güterzügen bedient sich die italienische Staatsbahn alter Wagen, die teilweise noch aus den 1930er Jahren stammen. Aber auch bei den Personenzügen der FS ist die Lärmentwicklung wesentlicher höher als bei modernen Zügen wie z.B in Deutschland und Österreich, die auch durch das Eisacktal fahren. Wer einmal auf das Geräusch der modernen Waggons der Vinschgerbahn geachtet hat, der wird festgestellt haben, dass diese hochmodernen Züge Schweizer Bauart fast geräuschlos vorbeirollen – das ist auch der Fall bei allen modernen U- und S-Bahnen, z.B. in München oder anderen Großstädten. Grund für den enormen Lärm, den die italienischen Güterzüge verursachen ist das Bremssystem: Backenbremsen wirken auf die Laufseite der Räder und bewirken dadurch eine Unwucht in der Abnutzung des Materials von dem dann das bekannte ratternde Geräusch ausgeht. Von diesen unregelmäßig abgefahrenen metallenen Rädern werden auch die Schienen betroffen, die dann – ebenfalls unregelmäßig abgefahren – auch bei neuem Rollmaterial erhöhten Lärm verursachen. Deutlich Lärmsteigernd wirken auch die Geleise, die auf Beton- statt auf Holzschwellen verlegt worden sind.

Die Rechnung für den Nutzen der geplanten Investitionen für Schallschutzwände war schnell gemacht: der Umbau eines Güterzugwaggons auf moderne Scheibenbremstechnik kostet rund 4.000 Euro. Würden die 12 Millionen Euro der Kosten für die Schallschutzwände für diese Umrüstung benutzt, dann würden immerhin 3000 Güterwaggons wesentlich weniger Lärm verursachen. Kurzum, die Schallschutzwände dienen im wesentlichen der Beruhigung der vom Lärm betroffenen Bevölkerung – ohne großen Effekt, wie man dann messen wird. Immerhin werden zumindest die heimischen Baufirmen gut verdienen. Aus diesen Erkenntnissen stellte der Bezirksrat einmütig Anträge dass verstärkt auf die italieni-schen Staatsbahnen Druck ausgeübt werden müsse.

Nicht nur was den Lärm betrifft: Man muss sich ja als Reisender schämen, wenn man in München oder Innsbruck in einen der immer ungepflegter erscheinenden Züge der FS einsteigt! Die Toiletten ergießen sich – inzwischen einzig in Europa – immer noch auf den Gleiskörper, die Speisewagen auf der Brennerstrecke sind abgeschafft worden, Sauberkeit und Sitzkomfort sind im Vergleich mit ÖBB und DB miserabel. Auch die niedrigeren Fahrpreise in Italien können nicht über die ständigen Verspätungen, die meist fehlenden Auskünfte darüber und den kläglichen Zustand der Bahnhöfe hinwegtrösten. So kam alles zur Sprache, was den Bürger, der zunächst bereit ist, das umweltschonende und preiswerte öffentliche Schienenverkehrsmittel zu nutzen schließlich wieder ins Auto treibt.

Ob und welcher Druck der Bezirksgemeinschaft Eisacktal die Betonköpfe in der mil-liardenhoch verschuldeten FS dazu bringen kann an dieser erbärmlichen Situation etwas zu verändern, sei dahingestellt. Wir wünschen jedenfalls guten Erfolg dazu!

Andreas Gottlieb Hempel

(5.706 Zeichen m. Zw.R.)


 



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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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