Dienstag, 10.06.2008 | Wir verkaufen uns (-ere Gastlichkeit)

Auf der Bühne ist Baustelle in einem der neuen Südtiroler Alpinkitschhotels. Vier Barhocker vor einem improvisierten Tresen. Es wurschteln zwei Handwerker im Blaumann mit Werk-zeugkasten im Hintergrund an irgendwelchen Schnitzereien. Es treten auf:
  • der Hotelier im Janker
  • der Architekt, ganz in schwarz gekleidet mit modischer Brille
  • die Marketing Dame (Vivian) von der „Toerggele International“, hochblond, High heels, enge schwarze Hosen mit tailliertem Kostümsakko und viereckigem business-case
  • die Hoteliersgattin, quadratisch-resolut, das gut gefüllte Dirndl tief ausgeschnitten
Hotelier: Die Bar ist ein Riesenerfolg!
Architekt: Super! Und keine Einheimischen mehr...
Hoteliersgattin: Die lassen ja auch nix da. Sind gleich voll und quatschen bloß unsre Gäste an.
Hotelier: Deshalb konnten wir auch den Herrgottswinkl abbauen und dort die Zapfhähne für das Guiness-Beer einrichten. Dös geht weg wia nix!
Architekt: Wo habt ihr denn das Kruzifix hingetan?
Hotelier: Das hängt jetzt an der Sauna-Bar im Keller neben der Buddafigur. Multikulti! Ha,ha,ha! Warum?
Marketing-Dame: Weil wir Ihnen eine Eingeborenen-Stube vorschlagen möchten. Uns er-scheint die richtige Location neben der Rezeption gut gewählt.
Hoteliersgattin: Wieso denn plötzlich das? Ich bin doch grad froh, dass die nicht mehr kommen und stören. Die lassen ja nix da!
Architekt: Die Vivian ist OK damit – hör mal zu!
Marketing-Dame: Weil das jetzt im Trend ist. Die Gäste wollen wieder den direkten Kontakt mit den „locals“. Bevor die einchecken und von der Slowakin am desk dumm angeredet werden. Wenn die als erstes sagt: „fillen Sie das bittä hierrr aus“ .... dann sind die gleich sauer. Der Gast will wieder Südtiroler Originalatmosphäre! Identität!
Hotelier: Wie soll das gehen? Wer zahlt mir das?
Architekt: Wart’ab! Die Vivian hat das echte feeling für das rendering:
Marketing-Dame, klappt den business-case auf und zeigt Hochglanzfotos: Das zahlt sich von selbst aus weil dann mehr Italiener und Deutsche kommen. Da haben wir marketing-studies von der SMG und unserer Consulting, der „Törggelen International.“. Außerdem gibt’s da Gelder von der EU und vom Land wenn Sie beispielsweise pensionierte Bergbauern dafür einstellen.
Architekt: Vom bischöflichen Ordinariat gibt’s auch was, wenn die sich verpflichten, bei den Prozessionen mitzugehen und die Gäste sie filmen und fotografieren können. Die müssen nur über sechzig sein, den Rosenkranz beten können und angemessen gekleidet sein. Showtime – OK?
Hoteliersgattin: Was heißt da angemessen gekleidet sein? So wie ich?
Marketing-Dame: Ach ja, gnädige Frau, Sie wissen doch: Trachtenjoppe über der blauen Schürze, graue Anzughose reicht, schwarze Halbschuh mit Profil, Filzhut mit kleinem Gamsbart und Rucksack mit Schüttelbrot, Schnapslflasche, ein Bild vom Kaiser Franz-Joseph und dem Landeshauptmann und die „Dolomiten“ drin.
Architekt: Es müssen nicht unbedingt Südtiroler und Bergbauern sein. Ich kenne da so paar ältere Architektenkollegen ohne Arbeit, die würden da auch mittun und könnten auch was über den Lifestyle von Eurer Architektur im Haus erklären. Aber natürlich keine Nigger oder andere farbige Exoten. Ossis schon. Die dürfen aber nix reden sondern sollten nur bedächtig nicken und die Pfeife im Mund behalten.
Hotelier: Wir haben doch Rauchverbot!
Architekt: Das ist ja grade der Gag! Wir ordnen das so an, dass die Eingeborenen-Stube Windfang, Lobby und Smokerslounge gleichzeitig ist. Die deutschen Gäste können sich dort gleich eine anstecken. Dazu kannst Du Schüsseln mit Bruchresten vom Schüttelbrot aufstellen und es gibt einen Begrüßungsschluck Rotwein vom Fass...
Hotelier: Ich versteh’ schon, den Billigmerlot aus dem Veneto, den bezieh ich über bo-frost. Das merkt keine Sau. Schon gar nicht im Rauch.
Hoteliersgattin: Wie soll denn das aussehen. Etwa so kühl und modern?
Hotelier: Holz vor der Hütten, bittschön, ha,ha,ha!
Marketing-Dame: Um Gottes Willen – keine moderne Architektur! Das haben die Gäste aus Gelsenkirchen ja selber zu Hause! Sie haben doch alles hier sorgfältig auf dem SMG Alm-hüttenimage mit viel Naturholz, Messing und Gemütlichkeit aufgebaut. Dabei sollte es bitte auch bleiben!
Architekt: Ich hab mir da ein echt geiles Holzhaus reserviert. Dreizehntes Jahrhundert im Gsieser Tal. Der Bauer ist ausgesiedelt. Ich hab ihm daneben was Neues gebaut. Jetzt muss er die Kubatur wieder ausgleichen und die alte Bude soll weg. Er zahlt uns noch was, wenn wir’s abbrechen. Dann nehmen wir das Bundwerk und die Blockbauteile für die Erweiterung Deines Wellnessbereiches...
Hoteliersgattin: Ja, ja! Für die Erlebnisduschen und den Kuschelsaunabereich!
Marketing-Dame: ...und die Pranatherapie für Raucher – faszinierend!
Architekt: und die alte Stub’n für die Eingeborenen-Lounge. Alles Original! Talschaftsidentität!
Hotelier: Ja, aber eine Lüftungsanlage brauchen wir schon. Und selbstöffnende Ganzglastüren. Die Vorfahrt muss man von drinnen aus sehen können.
Hoteliersgattin: Genau! Sehen und gesehen werden ist das Wichtigste heute. Überhaupt: das Vorfahren ist zum Beispiel für die Deutschen das Wichtigste. Die wollen Ihre Daimlers und Geländewagen zeigen und später auch vom Zimmer aus sehen können.
Marketingdame: Richtig! Die Gäste müssen ihren Stil wiederfinden! Dafür verkaufen wir das Ambiente Südtirol
Architekt: OK – das kriegen wir hin. Das wird cool. Die Lüftungsanlage mit Latschenkiefer-geruch– kein Problem. Die kommt durch den gemauerten Ofen und wir führen das Ofenrohr durch den Raum mit Schlitzen, zum Absaugen. Neben den Ofen vor das Gebläse dann das Kruzifix mit Ölzweigen aus Kunststoff, staubabweisend und fireproof. Die Ganzglastüren können wir mit Butzenscheibendekor machen, da kann man immer noch durchsehen. Und an die Wände hängen wir ein paar Schwarzweißfotos von Brixen, wie es mal war.
Hotelier: Super. Am Kruzifix häng ich irgendwie – aber es war immer eine Brandlast wegen der getrockneten Maiskolben und Olivenzweigen.
Architekt: Haben wir noch was? Alles OK?
Marketing-Dame: Den Wellnessbereich. Die neue Politik der „Törggele International“ beinhaltet, dass die Gäste das Haus möglichst nicht mehr verlassen sondern ihr Geld ganz im Hotel ausgeben.
Hotelier: Und wie soll ich das denn machen?
Architekt: Ich weiß schon, was die Vivian meint!: Ein Superkonzept! Also erstens: Brixen ist jetzt so verbaut, dass keiner mehr Lust hat rauszugehen in die Gewerbesteppe oder in den Rosslauf oder in den zersiedelten Kranebitt. Das sind ja alles städtebauliche Wildschweinge-biete. Da liegen wir hier am Altstadtrand gut mit unserem Bio-Hotel, das erkennt der Gast ja schon an der grünen Farbe und dem vielen Holz.
Marketing-Dame fällt ein: Und zweitens: Sie heben die Preise so an, dass die Gäste nichts anderes mehr finanzieren können. Also so um die 399.- Euro herum am Tag für die Dreiviertelpension pro Person. Die werden die Gäste dann abarbeiten wollen: reichhaltiges Frühstücksbüffett mit Körnerecke...
Hotelier: ...die meisten Weiber sind ja sowieso alte Hennen, ha,ha,ha!
Marketing-Dame: ...danach Wasserjogging im Pool, Massagetermin, Ayurvedabehandlung, oder Brustbäder in Himalayasalz, dann Kochkurs...
Hoteliersgattin: ...sehr gut! Da sparen wir Personal in der Küche wenn die das Zeug, was sie nachher fressen erst einmal selber kochen müssen!
Marketingdame: ...danach Entschlackungsgymnastik und Moraltherapie vom Hauskaplan - Brixen war schließlich einmal Bischofsstadt und Werte sind wieder in. Die Gäste müssen ja auch die Kalorien wieder loswerden. Nachmittags gibt’s dann Kuchenbuffett, da bleiben erfahrungsgemäß alle Senioren sowieso da. Weiter mit Sauna, Dampfbad, Erlebnisduschen, Wirlpool, Thalasso-Atmen, Öltherapie für die Haut und heisse Bachkiesel auf den Bauch damit der Darm in Bewegung gerät, zum Schluss Darmspülung damit man wieder Appetit bekommt für das fünfgängige Candlelight-Dinner, das mittags von den Gästen selbst gestaltet wurde. Anschließend Weinprobe und Grappa-Absacker im Keller. Ich sage Ihnen nur: Wellness pur und keiner verlässt das Haus. Motto: die Seele und den Bauch baumeln lassen!
Architekt umarmt die Marketing-Dame: Ich habe es Euch ja gesagt – die Vivian ist echt great!
Hotelier mit Gattin: Super!!!
Hoteliersgattin: Vor allem dass wir da Personal sparen! Als erste fliegt die blonde Slowakin die wo meinen Mann immer so anmacht!
Hotelier: ... und dass die arbeitslosen Eingeborenen EU-Gelder bekommen und uns nix kosten!
Marketing-Dame: So wird Ihr Haus eine Event-Location. Wir von der „Törggele-International“ können Ihnen noch dazu das global-round-about-package für die Werbung anbieten. Zielgruppenfixiert!
Architekt: Ja, früher war Südtirol mal Wellness genug – aber das toppen wir jetzt für Euch mit dem neuen feelgood, kuschelsex&relaxprogram ganz easy! Aber....da brauchst Du noch ein paar Umbauten. Neben dem Heizungskeller und der Tiefgarage. Ich hab da schon eine Idee! Wir gestalten das alles im Tiroler-Toskana-Thermenstil mit Marmor, Edelhölzern und Wohlfühlkeramik, ganz klassisch, wie im alten Rom! Die Gäste sollen sich ja wie zuhause fühlen!

Andreas Gottlieb Hempel

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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
Otto von Guggenberg Str. 46   I-39042 Brixen (BZ)   Italien
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