Die Südtiroler Sommeliers angeregt von der Präsidentin Chris Mayr und unterstützt von Paolo Tezzele waren wieder reiselustig und neugierig auf die Weine der Schweiz rund um den Genfer See. Eine Elfergruppe von Verkostungssüchtigen machte sich in zwei Wagen auf den Weg über das Aostatal zum Großen St. Bernhard. Kurz vor der Einfahrt in den Tunnel war im kleinen Ort Saint-Rhémy-en-Bosses Mittagsrast. Schon in der Römerzeit eine mansio romana, später Poststation für die marroniers, die Bergführer der Reisenden über den gefährlichen Pass, heute ein hübsches Nest, das sich mit seinen Natursteinhäusern um das Hotel Suisse gruppiert. Dort labte sich die Gruppe an Jambon de Bosses und feinstem lardo, begleitet von typischen Weinen des Aostatales: Fumin (barricato), Cornalin DOC, Enfer d’Arvier (aus Petit Rouge), Petite Arvine DOC und einem ausgezeichneten Rosé Donnas, Vigne Champorette 2006 (aus Pinot Noir statt Nebbiolo). Drei Weingüter waren zur Besichtigung an diesem Wochenende ausgesucht worden. Alle drei von Winzerinnen geführt. Das erste wurde noch am gleichen Nachmittag im Waadtländer Weinbaugebiet Lavaux, in Aigle am Ausgang des Wallis, erreicht: Domaine de la Baudelière, mit schönem Herrenhaus, geführt von Christine und Stephanie Delarze-Baud, Mutter und Tochter (www.artisanes-vigne-vin.ch.) Auf 3,2 ha werden nach dem Ausbau ausschließlich in Eichenfässern 25 000 Flaschen abgefüllt. Davon überwiegend die Standardtraube der Schweiz, Chasselas, aus den Anbaugebieten in Aigle und Ivorne. Kristallklar, zart strohgelb, mit delikatem Birnen- und Pfirsischaromen waren die präsentierten Weine von 2006 saftig und vom Terroir geprägt. Als Rarität kam ein (untypischer) Riesling 2006 von dreijährigen Reben dazu, im Barrique gereift mit Aromen von Aprikose, Pfirsisch und Ananas – produziert wurden nur 500 Flaschen. Aus Syrah, Mondeuse, Gamay und Pinot noir keltern die beiden Damen unter dem Namen „Les Trois Roses“ eine Cuvée von schönem transparenten Rubinrot mit Erinnerungen an Kirschen und Johannisbeeren. Dazu noch zwei nicht immer verfügbare aber perfekte und elegante Spezialitäten: eine Cuvée aus Syrah und Cabernet franc – fruchtig und holzbetont – sowie eine Cuvée aus Merlot und Cabernet Sauvignon, 24 Monate im Barrique gereift mit Tönen von reifen roten Früchten, Pflaumen und ohne jede grüne Note - von internationalem Format. Preise zwischen 10,20-27 Frs.
Der nächste – strahlend schöne Morgen – sah die Gruppe fröhlich und hoch über dem Genfer See mit Blick bis zum Montblanc in Mont-sur-Rolle, das zum Waadtlän-der Weinbaugebiet La Côte gehört, im Weingut Les Dames de Hautecour, (www.damesdehautecour.ch) geleitet von der charmanten Winzerin Coraline de Wurstemberger, die zunächst ihre ganze Palette von Chasselas anbot. Sie reichte vom Chasselas Réserve 2006 und 2007 über den Chasselas violet 2006 – alle fruchtig, trocken, frisch, saftig, harmonisch und von ausgezeichneter Qualität – zu einem sehr interessanten Chasselas 2004 sur lie, bastoniert, mit strengerem, leicht bitterem terroir. Chasselas altert schnell nach 2 bis 3 Jahren aber sur lie bleibt er länger frisch, erholt sich sogar, wird kantiger und bekommt nach etwa 10 Jahren wie ein alter Chablis honigfarben eine neue Qualität. Aus Chasselas stellt das Weingut auch einen feinperligen Sekt brut her – ein erfrischendes Intermezzo bevor ein kristallklarer, strohgelber Pinor gris verkostet wurde, konsistent bis viskos, intensiv und komplex von ausgezeichneter Qualität, voller Würze, Frucht und Blume, frisch, von schöner Mineralität ohne breit zu werden. Zum Abschluss wurde noch die Cuvée Dora 2005 verkostet – nach der weltläufigen Gromutter benannt – aus Pinot noir und Gamaret vinifiziert, ein großer, eleganter Wein, der wie alle anderen des Weingutes nur in Eichenfässern und Barriques ausreift. Aus 3 ha werden 20.000 Flaschen abgefüllt. Preise zwischen 11- 25 Frs.
Nach dem „Apéritf“ des Verkostens war für die jetzt noch fröhlichere Gruppe ein lan-ger Tisch im Restaurant „L’Ermitage“ von Bernard und Ruth Ravet in Vufflens-le-Chateau reserviert. Das Sternerestaurant gehört zur Verbindung „Les Grandes Tab-les du Monde“ und ist von der Küche über den Service bis zur Einrichtung absolute Spitze. Nach einem Chasselas sur lie zum amuse gueule wurden die fünf Varia-tionen der foie gras von einem vollfruchtigen Amigne Grand Cru de Vétroz 2005 von Romain Papilloud begleitet – ein Erlebnis! Zur Rotbarbe wurde ein leichter Chardonnay gereicht und zum Lammrücken mit Morcheln war ein Epesses Pantrobez 2004 der Domaine Blaise Duboux ganz ausgezeichnet. Zur überwältigenden Käseauswahl kehrte man noch einmal zu einem saftig-frischen Chasselas 2003 aus Yvorne zurück. Friandises vom Feinsten besänftigten auch die anspruchsvollsten Leckermäuler zum Café und Digestif. Danach war wirklich keine weitere Verkostung möglich.
Wieder strahlte die Sonne über dem Genfer See als die Gruppe vom nicht weiter erwähnenswerten Hotel in Morges aufbrach und auf der Fahrt entlang der Uferstraße die Villen der Superreichen bewundern konnte. Das sonntägliche Genf döste verschlafen vor sich hin und am Jet d’eau vorbei wurde der noble Vorort Cologny mit der Domaine de la Vigne Blanche (sarahmeylan@hotmail.com) erreicht. Wieder eine frische junge Winzerin mit frischem Chasselas, dessen Weinstöcke erst einmal im Weinberg mit Blick auf den Genfer See inspiziert wurden. Bei Genf wird nur noch 20% Chasselas angebaut gegenüber den 45% der gesamten Schweiz. Zudem haben sich 14 Winzer zu der Gruppierung „L’Esprit de Genève“ zusammengefunden. Man bemüht sich gemeinsam um höchste Qualität um den Ruf der Genfer Weine wieder zu heben. Sarah Meylan gehört mit ihrem Vater Roger dazu und ihre Cuvée aus Merlot und Garanoir, 12 Monate im Barrique und 1 Jahr auf Flaschen gereift, erhielt 2007 eine Goldmedaille und den 2.Preis der Presse. Aus 7,5 ha werden hier 35 000 Flaschen abgefüllt. Insgesamt wurden 11 Weine zur Verkostung an diesem sonnigen Morgen im Hof des Weingutes angeboten. Darunter zunächst der gerade in Bordelaiser Flaschen abgefüllte Chasselas 2007, zart und mineralisch vom Moränensand des Terroir. Überhaupt präsentierten sich alle Chasselas, die verkostet wurden in schöner saftiger bisweilen fast salziger Mineralität. Es folgten ein lebhaft-frischer, etwas harter Aligoté, ein zarter, leicht bitterer Weißburgunder, ein Rosé du Gamay, der als Sommerwein überzeugte, ein trinkiger Müller-Thurgau und schließlich ein wegen des schlechten Wetters bei der Ernte nicht sehr typischer Sauvignon blanc. Danach die Roten: ein purpurfarbener Pinot noir 2006, 100% im Barrique gereift, die Cuvée Constance fruchtig und tanninhaltig vom Gamaret und dann die Cuvée Esprit de Genève 2006 aus Gamay, Gamaret und Cabernet Sauvignon im großen Holzfass ausgebaut, purpurfarben, konsistent, trocken und tanninreich mit Restaromen von roten Früchten, Würze mit Vanilleton – ein beeindruckender Wein von internationalem Format an welchen die Cuvée Cologny aus Gamaret und Cabernet Sauvignon dann nicht mehr heranreichte. Preise zwischen 9-24 Frs.
Die Rückfahrt nach Bozen war ausgefüllt mit den Eindrücken eines kleinen Landes mit beschränkter Weinproduktion, die fast zur Gänze im eigenen Land getrunken wird. Die flachen Fendants (Chasselas) die - ähnlich wie der Vernatsch in Südtirol – in Verruf geraten waren, scheinen der Vergangenheit anzugehören. Es wird mit vielen Rebsorten erfolgreich experimentiert. Aber auch der Chasselas wird durch sorgfältige Arbeit im Weinberg zu neuer Qualität gebracht. Dennoch hat er eindeutige Grenzen, die nur in Ausnahmefällen zu wirklich ganz überzeugenden Weißweinen überschritten werden. Diese in Südtirol zu erwerben bereitet Schwierigkeiten. Insofern hinterließ die kurze Reise einen bleibenden Eindruck von Besonderheiten zu denen man sich wohl selbst hinbegeben muss.
Andreas Gottlieb Hempel
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