Dienstag, 20.01.2009 | Kommentar „Journal Bauen“, 2.2008.3

Sensibilisierung

Wer mit dem Fotoapparat unterwegs ist, der weiß ein Lied davon zu singen: Quer durchs Bild ziehen sich Stromleitungen, vor der entzückenden Kapelle steht ein Müllcontainer, die Verkehrsschilder vereiteln die Aufnahme der blühenden Kastanien. Ist manchen Verantwortlichen und auch manchem Bürger der Sinn dafür verloren gegangen, was unserer Kulturlandschaft, Städten und Dörfern im öffentlichen Raum optisch zugemutet werden kann?

Völlig zu Recht gilt Südtirol als eine der schönsten Regionen in Europa. Die einmalige Naturlandschaft von den Dolomiten bis zum Kalterersee, die über Jahrhunderte durch den Fleiß der Bauern entstandene Kulturlandschaft von den Almen bis zum Trockenmauerwerk der Weinterrassen, die Baukultur der historischen Stadtkerne mit einer urbanen Bautradition entlang der Handelsstraßen von Salurn bis weit nach Norden, die malerischen Dörfer mit stattlichen Höfen und schlossartigen Ansitzen und Burgen – alles das findet man heute noch auf dem Hochglanzpapier der Tourismusprospekte geschickt im leuchtenden Herbstlicht vor blauem Himmel und goldenem Laub fotografiert.

Wer aber einmal bei weniger gutem Wetter, entlaubten Ästen und nicht touristisch gestimmt die geschilderten Landschaften und vor allem die öffentlichen Räume durchwandert, dem fällt auf, dass sehr viel Zeug herumsteht, herumhängt und herumliegt, das den guten Eindruck trübt. Da ist zum einen der Blick vom Berg. In Südtirol sieht man ja im Gegensatz zur Poebene oder anderen langweilig flachen Landschaften alles von oben. Die Bauten erhalten dadurch eine weitere Dimension, die sogenannten Dachlandschaften. Diese können die Landschaft sehr bereichern wenn man alte Siedlungskerne mit ihren lebendig wirkenden geneigten Ziegeldächern von oben betrachtet. Sie können aber ganze Talböden vernichten, wenn diese mit chaotisch-verschiedenen Gewerbekisten liebloser Gestaltung zugeschüttet wurden. Zum anderen sind es die in den Kunstführern als einen Umweg wert beschriebenen Kirchen, Burgen oder Ansitze, bei denen etwa ein Parkplatz ohne Baumpflanzung oder ordentliche Pflasterung die schöne Fassade mit einem Blechsee der Fahrzeuge empfindlich stört.

Überhaupt die Erdgeschosszonen: vor allem im städtischen Bereich ist es kaum mehr möglich, eine schöne historische Fassade ohne davor geparkte Autos, Hinweisschilder, hässliche Papierkörbe, Elektroschaltkästen, Müllcontainer, Fahrradständer und dergleichen mehr zu betrachten, geschweige denn ein schönes Foto davon zu machen. Handelt es sich um eine Fußgängerzone, dann fehlt zwar ein Teil der Autos – angeliefert wird trotz dazu bestimmter fester Zeiten gnadenlos auch zwischendurch – dafür wird deren Platz von zentnerschweren Blumenkübeln mit oft genug mickrigem Bewuchs und Pollern aller Art eingenommen, nicht zu sprechen von meist ungelenken Kunstwerken zur Verschönerung. Das hätten viele der schönen alten Fassaden auch alleine geschafft, wenn man sie nur ließe, ohne weit aufgerissene Verglasungen, die dann wieder mit der Ankündigung von Sonderangeboten zugeklebt werden. Sicher ist die Mülltrennung eine gute Errungenschaft unserer abfallintensiven Konsumgesellschaft. Hier würde man sich aber einmal einen Designerwettbewerb für möglichst unauffällige aber wohlgeformte Behälter ohne die Farben giftgrün und knatschgelb wünschen. Die halb in den Boden versenkten Müllcontainer mit Chipsbedienung sind da ein Weg in die richtige Richtung. Aber auf die Richtung, in der diese Container stehen, kommt es ja in erster Linie an: müssen sie neben einer Barockkapelle zusammen mit einem Papierkorb neben einer schlecht gestalteten Bank stehen? Welcher optische Masochist wird sich wohl dort niederlassen um seinen Döner zu verzehren? Und was ist mit den Masten und Leitungen für die Elektrizität? Müssen diese unbedingt quer durch die Laubengasse gespannt werden oder neben dem Dorfbrunnen stehen? Hier scheint doch ein gewaltiger Handlungsbedarf zu herrschen. Genauso wie über die Detailausbildung von Fassaden in den Baukommissionen diskutiert wird muss für die „Möblierung“ des öffentlichen Raumes in der Stadt, der Dorfstraßen und der Grünräume in der Landschaft eine Übereinkunft getroffen werden. Hier ist auch die Sensibilisierung des einzelnen Bürgers gefragt, der seine Gartenzäune, Stützmauern, Mülltonnenplätze mit Rücksicht auf ein angenehmes Gesamtbild einordnen sollte. Das ist keine Frage der Kosten, sondern des Feingefühls für den Ort an dem man lebt. In manchen Gegenden – z.B. in einigen Bundesländern Deutschlands – gibt es dazu Gestaltungssatzungen, die bis zur Form der Briefkästen alles regeln. Soweit muss es aber nicht kommen, wenn man sich angewöhnt genauer hinzusehen um die eingangs beschriebene Schönheit unserer Region nicht mit dem erwähnten Kleinkram zu verstellen.

Andreas Gottlieb Hempel

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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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