Mittwoch, 21.01.2009 | Kunstraum Straße

In den vergangenen Ausgaben haben wir dargestellt, dass Straßen nicht nur Ingenieurbauwerke sind sondern auch als Architektur eine Kulturlandschaft prägen können. Zum Abschluss dieser Serie soll die künstlerische Planung für die Straße auf das Stilfserjoch vorgestellt werden, der vielleicht kühnsten Spur der Alpenüberquerungen.

Im Jahre 1825 wurde die Straße auf das Stilfserjoch in Betrieb genommen. Sie wurde aus militärischen Gründen als direkte Verbindung zwischen Tirol und der damals noch zur k.u.k. Monarchie gehörigen Lombardei geplant und galt als bautechnische Glanzleistung der Ingenieure des österreichisch-ungarischen Heeres. Gerade wegen fehlender technischer Geräte war es durch genaue Beobachtung der Geländebedingungen und äußerster Sparsamkeit der Mittel gelungen, die Eingriffe in die gewaltige Berglandschaft so gering wie möglich zu halten – ein Ergebnis, dass manch modernem Straßenbau zu wünschen wäre. Die Stilfserjochstraße trug dazu bei, den Alpinismus in Südtirol zu begründen und führte im Ersten Weltkrieg zu den höchsten Geschützstellungen der Dolomitenfront.

Der Autoverkehr und extreme Witterungsbedingungen haben der Straße stark zugesetzt. Instandhaltungsarbeiten wurden in den letzten Jahren - leider teilweise mit ästhetisch unbefriedigenden Ergebnissen - durchgeführt. Im Jänner 2008 genehmigte die Südtiroler Landesregierung ein künstlerisches Konzept, das von dem bekannten norwegischen Architekt Kjetil Thorsen (Studio Snøhetta, Oslo) zusammen mit dem Vinschger Architekten Arnold Gapp, dem Ingenieur Siegfried Pohl und dem Meraner Künstler Ulrich Egger entwickelt wurde.

Schon am Beginn der Stilfserjochstraße in Spondinig am historischen Hotel Post-Hirsch soll der Besucher auf die Panoramastraße eingestimmt werden. Der enge Einmündungspunkt wird nach Osten erweitert und eine perspektivische Reihung von Stäben soll an die früheren Alleebäume erinnern. In Gomagoi, nach der Abzweigung der Straße nach Sulden soll das ehemalige Festungsbauwerk als Tor zum Stilfserjoch eingerichtet werden: Eine Brücke wird beide Bauwerke verbinden in denen die Geschichte des Stilfserjochs in einem Besucherzentrum dokumentiert wird. Dort werden dann Eintrittskarten zum „Erlebnis Stilfserjoch“ mit einer erläuternden CDRom ausgegeben – keine Maut, sondern Eintrittskarten in das „Museum“, das die einzigartige Bergstraße darstellt, die mit unterschiedlichen künstlerischen Objekten ausgestattet wird.

Dazu gehört eine „Himmelsrampe“ an der Weißen Knott, wo die Fahrbahn leicht erhöht wird um den Blick ins Unendliche freizugeben. Das ehemalige Straßenwärterhaus neben dem Berghotel Franzenshöhe soll zu einem kulturellen Treffpunkt ausgebaut werden, die ehemalige Seilbahnstation aus dem Ersten Weltkrieg könnte eine Fahrradstation werden, in der Schneekammer der „Casa Rotteri“ kann der Besucher den Winter am Joch nacherleben und eine LCD-Lichterkette wird als künstlerische Lichtinstallation während der Dämmerung die Kurvenführungen in dem atemberaubenden Teil der Straße von der Franzenshöhe zum Pass nachzeichnen.

Die entscheidende Maßnahme zum optimalen Genuss der Bergstraße für die Besucher stellt eine geplante Einbahnstraßenregelung zu bestimmten Zeiten dar. Sie würde es ermöglichen, dass auf einem Teil der Fahrbahn angehalten werden kann um zu schauen, zu staunen und zu fotografieren. Dabei könnte an die Weiterführung des Gegenverkehrs über den Umbrailpass durch die Schweiz gedacht werden um den rätischen Kulturraum in die Fahrt einzubeziehen. Auf dem Joch selbst sind Aufräumungsarbeiten des passüblichen unkultivierten Durcheinanders erforderlich.

Wer die Panoramastraße befährt, will anhalten, aussteigen, genießen – Verlangsamung und Genuss sind das Ziel. Der Besucher erlebt den Naturraum, sieht Schneefelder, Felsabstürze, entdeckt Pflanzen und spürt den kühlen Jochwind. Geführt wird er durch eine Straße, die durch ihre Gestaltung und Funktion zur „Kunstlinie“ durch eine wohl einmalige Landschaft wird.

Umsonst ist das nicht zu haben: Für die genannten Maßnahmen ist mit rund 12 Mio. Euro zu rechnen, die wohl zum größten Teil vom Land Südtirol zu tragen sind. Wir wünschen diesem grandiosen Projekt des „Kunstraums Straße“ eine baldige Verwirklichung!

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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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