Mittwoch, 21.01.2009 | Dolomiten Baukultur Januar 2008

Regionalismus in der Baukultur

In der globalisierten Architekturszene scheinen sich weltweit gleiche Moden immer kurzfristiger abzulösen. Eine Handvoll Jet-Set-Architekten geben den Ton an, lokale Architekten eifern meist weniger gekonnt nach. Die Sehnsucht nach ortstypischer und eigenständiger Baukultur wächst. Gibt es einen neuen Regionalismus?

In den vergangenen Jahrhunderten war das Bauen eine regionale Angelegenheit. Die Bauformen der Alltagsarchitektur entwickelten sich aus den Lebensbedingungen der Menschen in den einzelnen Regionen. Das Klima, die Arbeitsweisen und das verfügbare Baumaterial und gesellschaftliche Konventionen bestimmten Ortsbilder und Hausformen. Nur besondere Bauten wie etwa Kirchen und Schlösser übernahmen die gerade gängigen Stile. Für sie wurden berühmte Baumeister ins Land gerufen. Ihr Glanz strahlte auch auf die Bauten der Bürger ab, die gelegentlich dekorative Elemente der gerade herrschenden Stilformen übernahmen um Wohlstand und Geschmack zu beweisen. Die Grundstruktur der regionalen Baukunst blieb davon aber unberührt und folgte den jeweils bewährten Bauweisen einer Region. Der örtliche Baumeister führte dort seine Bauten meist ohne Plan nach den sich wiederholenden Arbeits- und Wohnbedürfnissen der Menschen auf und musste mit den vor Ort verfügbaren wenigen Materialien auskommen. Aus ihnen bestimmten sich die Spannweiten und damit die Größe der Räume, die Tragfähigkeit und damit die Bauhöhe. Die in ihren Grundformen ähnlichen Bauten wiesen im Einzelnen bewährte Details mit möglichst langer, wettergeschützter Dauerhaftigkeit auf, Details, die sich in der Herstellung, Nutzung und Minimierung des Materialbedarfs schon über Generationen bewährt hatten und ebenfalls Generationen haltbar waren. Diese Häuser addierten sich zu ebenfalls einheitlich erscheinenden Ortsbildern.

Mit der Industrialisierung und den besseren Transportmöglichkeiten für Baumaterialien, der Veränderung des Bauhandwerks bis hin zur Vorfertigung ganzer Bauteile und geänderten Lebens- und Arbeitsweisen wurden ganz andere Bauformen möglich und erforderlich. Die unterschiedlichsten Materialen konnten herbeigeschafft und überall eingesetzt werden. Ungeschriebene aber traditionelle Übereinkünfte, wie man in seiner Nachbarschaft zu bauen habe wurden durch abstrakte Baugesetze ersetzt, die formal so ziemlich alles möglich machten. Durch die architektonische Moderne der 1920er Jahre entstand die sog. „Internationale Architektur“, deren Formalismus sich weltweit verbreitete und zur heutigen Gleichförmigkeit der gebauten Umwelt beitrug. Gleichzeitig entstand durch das Nebeneinander unterschiedlicher Funktionen, Materialien und Maßstäbe ein gestalterisches Chaos, das ebenso wenig wie die Gleichförmigkeit etwas mit regionaler Baukultur zu tun hatte – vielmehr führte die gedankenlose Übernahme von Formen örtlicher Bautradition oft zu jämmerlichen Dekorationen und zur Entwertung originaler Substanz – was in Südtirol etwa an manchem Hotelbau zu beobachten ist.

Kann es nach dieser Entwicklung wieder eine regionale Architektur geben, der man ansieht, dass sie nur an ihren Ort, nur in ihre Region gehört? Das ist möglich ist und wird an guten Beispielen auch in Südtirol gezeigt. Es sind meist Bauten, die maßstäblich und strukturell aus ihrem örtlichen Zusammenhang entwickelt wurden. Es sind oft Umnutzungen und Erweiterungen schon bestehender Bauten – und davon gibt es in unserer Region sehr gute Beispiele, man denke etwa an das Südtiroler Landesmuseum im Schloss Tirol, das Messner Mountain Museum auf Sigmundskron oder die Europäische Akademie in Bozen. Es sind aber auch Neubauten wie die Kirchenerweiterung in Leifers, die Ortsmitten in Albeins oder Plaus, die Friedhofsanlage in Luttach, der Goldschmiedladen in Schenna, das Rathaus in Bruneck, die Residence Pergola in Algund oder das Vigilius Mountain Resort und viele andere, die eine neue regionale Baukultur begründen. Bauten, die den genius loci aufgreifen und Identität vermitteln. Leider sind sie in der Minderheit neben allzu vielen gesichtslosen Neubauten, welche die Region zersiedeln.

Andreas Gottlieb Hempel

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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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