Mittwoch, 21.01.2009 | Turrisbabel Text

Ein Ansitz im Weinberg -
zum Realisierungswettbewerb Neubau Kellerei Bozen

Die Kellerei Gries (gegr. 1908) und die Kellerei St. Magdalena (gegr. 1930) haben sich im Jahr 2001 zu einem gemeinsamen Unternehmen zusammengeschlossen. Durch die Synergien hat sich die bisher schon anerkannte Qualität der Produkte beider Kellereien zu einer Rotweinkompetenz gesteigert, die kaum eine zweite Kellerei in Südtirol erreicht - die Weißweine machen gerade mal ein Viertel der Produktion aus. Aber auch der gestiegenen Nachfrage soll mit rund 2,7 Mio. 0,75-l-Flaschen entsprochen werden. Die gesteigerten Ansprüche können nicht in den beiden vorhandenen und zudem in Gries und St. Magdalena getrennten Kellereien erfüllt werden. Vor allem in den weitgehend veralteten, beengten und kellertechnisch ungenügenden Räumlichkeiten in Gries kann die Arbeit so nicht fortgesetzt werden. Zudem würde ein vergrößerter Betrieb im Ortskern von Gries unzumutbare Immissionen (Lärm, Transporte, Vergärungsgase usw.) für die Wohngebäude der Nachbarschaft verursachen. Eine Aussiedlung der Kellerei ist deshalb auch aus ortsplanerischer Sicht unumgänglich und wünschenswert.

Ursprünglich standen zwei Grundstücke für einen Neubau zur Diskussion: Eines in Rentsch, in der Nähe der bestehenden Kellerei von St. Magdalena und das andere in Moritzing, nicht allzu weit von der alten Kellerei in Gries. Beide Grundstücke wurden im Wintersemester 2005/6 von Studenten der Hochschule für Technik in Stuttgart unter Leitung von Prof. Hempel mit Testentwürfen beplant und erwiesen sich in gleicher Weise als geeignet für den geplanten Neubau. Die Vollversammlung der Mitglieder entschied sich schließlich für die Aussiedlung nach Moritzing. Das dortige Grundstück in bergseitiger Hanglage hat eine Größe von 20 000 qm – ausreichend für einen funktionellen Neubau. Es wurde zunächst baurechtlich in eine Produktionszone mit landwirtschaftlicher Nutzung umgewidmet Das alte Kellereigrundstück in Gries soll dann einer dem Ortskern angemessenen Wohnbaunutzung zugeführt werden – möglichst unter Einbeziehung der historischen Kellergewölbe von Architekt Altmann für eine öffentliche Nutzung. Der Erlös aus dem Grundstücksverkauf muss dabei der Finanzierung des Kellereineubaus dienen.

Um Alternativen für die Planung der neuen Kellerei zu erhalten, hat die Leitung der Kellerei Bozen zehn fachlich geeignete Architekturbüros zu einem beschränkten, einstufigen Bauwettbewerb eingeladen, der in der Zeit vom 16. April bis 30. Juni 2008 durchgeführt wurde:

01. alimentec, Dr. Ing. Josef Maurer, food technology & engineering, Meran
02. Architekturbüro Dell’Agnolo - Kelderer, Bozen
03. FDArchitects Dr. Arch. Ingrid Furgler, furgler-dondorp-architects, Sarnthein
04. kadawittfeldarchitektur, Aachen c/o Dr. Arch. Köllensperger – Dejori, Bozen
05. CMF Dr. Arch. Christoph Mayr Fingerle, Bozen
06. Architekturbüro Dr. Arch. Günther Plaickner, Bozen
07. Architekturbüro Univ. Prof. Dr. Arch. Boris Podrecca, Wien
08. Architekturbüro Dr. Arch. Markus Scherer, Meran
09. Architekturbüro Dr. Arch. Abram & Schnabl
10. Architekturbüro Dr. Arch. Andrea Tomasi & Associati, Trento

Wettbewerbsaufgabe war es, mit den üblichen Plänen und Modellen, fünf wesentliche Kriterien zu erfüllen:

- Die optimale städtebauliche Einbindung in die empfindliche Reblandschaft.
- Die bestmögliche Erfüllung der Funktionen einer modernen Kellerei.
- Die gute Realisierbarkeit durch entsprechende Konstruktion und Materialien.
- Die hohe Qualität der Gestaltung als „Markenzeichen“ der Kellerei.
- Die Kosten von 16 Mio. € reine Baukosten einzuhalten

Die Architekturbüros Maurer und Tomasi hatten sich für den Wettbewerb zusammengeschlossen und das Architekturbüro Furgler gab keine Arbeit ab. So standen dem Preisgericht die Wettbewerbsunterlagen von acht Architekturbüros anonym zur Beurteilung am 17. Juli 2008 zur Verfügung.

Fachpreisrichter:
Arch. Wolfgang Piller, Vorsitzender und Vertreter der Architektenkammer Bozen
Arch. Stefan Bauer, Amt für Sanitätsbauten, Autonome Provinz Bozen
Arch. Karl Eisenstecken, stv. Direktor Abteilung Raumordnung, Autonome Provinz Bozen
Ing. Claudio Sartori, Vertreter der Ingenieurkammer Bozen
 
Sachpreisrichter:
Michael Bradlwarter, Obmann Kellerei Bozen
Dr. Georg Mayr, Landesobmann Südtiroler Bauernbund
Ulrich Trockner, stellvertretender Obmann Kellerei Bozen

Stellvertretende Sachpreisrichter (ohne Stimmrecht):
Stephan Filippi, Önologe, Kellerei Bozen
Jörgl Gasser, Mitglied Verwaltungsrat und Mitglied Vollzugsausschuss Kellerei Bozen
Klaus Sparer, Geschäftsführer Kellerei Bozen

Die Vorbereitung und Vorprüfung des Wettbewerbes hatten
hbpm Ingenieure GmbH, Brixen und
SMC – Sandforth Management Consulting, Schabs
Durchgeführt.

Die Jury wählte nach einer festgelegten Kriterienliste folgende Arbeiten aus:

1.Preis (15 000 €) - Architekturbüro Dell’Agnolo-Kelderer, Bozen
2.Preis (10 000 €) – Architekturbüro Abram & Schnabl, Bozen
3.Preis (  7 000 €) – Architekturbüro Podrecca, Wien

gleichrangig ausgeschieden wurden die Arbeiten folgender Teilnehmer:

Arch. Christoph Mayr-Fingerle, Bozen
Arch. Markus Scherer, Meran
Arch. Andrea Tomasi + Ing. Josef Maurer, Trient/Meran
Arch. Günther Plaickner, Bozen
und die
Architekten Kada & Wittfeld, Aachen als mögliche Nachrücker bestimmt.

Die gleichrangig bewerteten 5 Teilnehmer erhielten je 1 000 € als Spesenvergütung aus der Gesamtpreissumme von 37 000 €.

Alle eingereichten Projekte wurden von den Mitgliedern der Jury schriftlich bewertet. Dabei wurde auf die hohe Qualität der eingereichten Arbeiten hingewiesen. Der Obmann der Kellerei Bozen bekräftigte seine Absicht die Aufgabe mit den Architekten der erstprämierten Arbeit fortzuführen.

Im folgenden wird auf die wesentliche Charakteristik der preisgekrönten Arbeiten eingegangen:

Die Entscheidung für den 1.Preis (Dell’Agnolo-Kelderer) fiel aufgrund der geringsten Inanspruchnahme des Geländes. Die überwiegende Fläche des Grundstücks kann wieder zusammenhängend als Weinberg bepflanzt und genutzt werden. Die Charakteristik eines kubischen Baukörpers, der die Tradition eines im Weinberg liegenden Ansitzes auf moderne Weise fortführt, überzeugt in der besonderen Situation von Moritzing. Der im unteren Teil des Hanges liegende sichtbare Bau tritt am wenigsten in Konkurrenz mit dem Ensemble im Westen und dem östlichen Ortsrand von Gries. Die zurückhaltende aber dennoch symbolhafte Architektur wurde anerkannt und als gute Alternative beurteilt. Die Erschließung des Geländes ist zentral auf der Straßenebene sparsam gelöst. Die Verkehrsflächen treten dabei von Außen nicht in Erscheinung während die temporäre Anlieferung der Trauben über einen „Weinbergweg“ erfolgt, der das natürliche Gelände nicht wesentlich beeinträchtigt. Der Besucherbereich liegt zwar funktionell richtig, kann aber im Erdgeschoss nicht von den Ausblicksmöglichkeit dieser Hanglage profitieren. In diesem Projekt wurden die kellertechnischen Funktionen am besten von allen eingereichten Arbeiten erfüllt und das Projekt scheint eine wirtschaftliche Ausführung zu gewährleisten.

Die Entscheidung für den 2. Preis (Abram & Schnabl) fiel aufgrund der architektonischen Haltung, welche das Motiv der klassischen Südtiroler Pergeln auf einen Bau mit hohem Wiedererkennungswert und schöner Symbolik für eine Kellerei überträgt. Landschaftlich fügt sich das technisch und konstruktiv ausgereift erscheinende Gebäude gut in den Rebhang ein. Die Lage in der Mitte des Geländes gibt den sichtbaren Teilen der Kellerei jedoch eine sehr betonte Bedeutung in der Abfolge der weiteren Bauten der Nachbarschaft des Ensembles im Westen. Die Anordnung des Besucherbereiches mit Terrasse ist funktional und von den Blickbeziehungen über Bozen nach Osten ausgezeichnet. Zur Wirtschaftlichkeit und Witterungsbeständigkeit der Holzkonstruktion, die den Innenhof überdeckt und das Vordergebäude übergreift, gibt es allerdings Bedenken zu Bau und Unterhalt. Die Erschließung weist durch Überschneidungen der Verkehrsfunktionen Mängel auf. Der innere Ablauf der Kellereifunktionen ist nicht überall einwandfrei.

Die Entscheidung für den 3. Preis (Boris Podrecca) fiel aufgrund der Tatsache, dass die sichtbaren Neubauteile ganz oben im Hang an der Waldgrenze angeordnet wurden und so von der Straße aus nicht direkt ins Auge fällt. Der Eingriff in die Landschaft ist dabei sehr behutsam. Der angrenzende Wald bildet eine vermittelnde Kulisse, die das Gebäude dort sehr gut einbindet und den restlichen Hangbereich davor wieder als Weinberg in Erscheinung treten lässt, der allerdings durch zwei zu steile Auffahrten beeinträchtigt wird. Für den westlich angeordneten Besucherbereich ergeben sich schöne Ausblicke. Architektonisch lässt der Bau jedoch die besondere Charakteristik einer Kellerei etwas vermissen. Die Verkehrserschließung und -organisation ist unbefriedigend, die Trennung von Besuchern und Produktion nicht ausreichend gegeben. Die Funktionsabläufe der Kellerei sind grundsätzlich gelöst aber nicht in allen Teilen befriedigend.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich die Jury für die Anordnung und Anlieferung der Kellerei mit ihren sichtbaren Bauten im unteren Teil des Grundstückes entschieden hat. Dabei wurde einer konzentrierten Bauform in der Abfolge der Bauten entlang der Moritzinger Straße der Vorzug gegenüber einer langgestreckten Gebäudezeile gegeben. Die architektonische Charakteristik für eine Kellerei ist im ersten Preis durch die gewählte Bauform vorhanden, sie kann aber in der Durcharbeitung durchaus noch verbessert werden. Besondere Beachtung muss auch noch den Verkehrsüberschneidungen in der Erschließung geschenkt werden.

Man darf also auf den Neubau der Kellerei Bozen gespannt sein. Sie will sich in ihrer Erscheinung in die Reihe der modernen, repräsentativen Kellereien Südtirols (siehe Lageder, Hofstätter, Manincor, KG-Tramin u.a.) einordnen um den Kunden die Qualität ihrer Weine auch in der Architektur zu symbolisieren.

Andreas Gottlieb Hempel

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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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