Mittwoch, 21.01.2009 | Der Neubau des Museion in Bozen

Über den Einweihungsfestlichkeiten und dem aufgebauschten Rummel um nur einen einzigen temporären Ausstellungsgegenstand ist die baukulturelle Leistung des Museion, seiner Architekten und des Landes Südtirol in der Stadt Bozen fast untergegangen. Es handelt sich jedoch um einen der besten modernen Neubauten der Stadt mit hohem Symbolwert. Hier der Versuch einer Zusammenfassung.

Seit seiner Gründung 1985 hat sich das Museion den zeitgenössischen Ausdrucksformen von Kunst zugewandt und sich in Europa mit seinem Schwerpunkt „Sprache in der Kunst“ einen Namen gemacht. Diese Thematik lag für das dreisprachige Südtirol nahe und entspricht den gegenwärtigen Kunsttendenzen, denn seit der Konzeptkunst der 1960er Jahre sind Text und Sprache bereits feste Bestandteile der internationalen Kunstszene. Heute umfasst die Sammlung des Hauses über 4.000 Werke, die zusammen mit den wechselnden Ausstellungsprogrammen die Kunst nach 1960 betreffen. Eine Fachbibliothek mit über 21.000 Bänden ergänzt das Angebot. Zunächst war das Museion provisorisch in der Altstadt untergebracht. Das neue Haus wurde nun über den Wiesen des Talferflusses, der die Altstadt von der italienischen Neustadt trennt, errichtet. Der Entwurf ist das Siegerprojekt der Berliner Architekten Krüger, Schuberth, Vandreike aus einem internationalen Architektenwettbewerb, das durch seine Konzeption als offenes, experimentelles  Haus, als Projektionsfläche und Künstlerwerkstätte überzeugte – und zwar rund um die Uhr, denn nachts zeigen die Glasfassaden im Westen und Osten Videokunst. Der Standort wurde als Chance gesehen, die gesellschaftliche Auseinandersetzung – besonders zwischen den Sprachgruppen – künstlerisch und kulturell zu fördern. Dazu dienen auch die zwei geschwungenen Brücken, die über die weiten Talferwiesen die beiden Stadtteile verbinden. Dies alles in Sichtweite des pompösen, faschistischen Siegesdenkmals mit der anmaßenden lateinischen Inschrift „Hier, von den Grenzen des Vaterlandes aus, haben wir den anderen die Künste und Wissenschaften beigebracht“. Das neue Museion symbolisiert nun die Alternative einer gemeinsamen modernen europäischen Kultur, welche die Überschneidung zweier Kulturkreise als Chance begreift. Auch durch die Glasfassaden, die sich nach beiden Seiten öffnen, wird das Verbindende, das Durchlässige hervorgehoben, das mit den offenen, sich durchdringenden Flächen und Ebenen der Ausstellungsbereiche eine räumliche Entsprechung erhält. So stellt sich der Bau als vielfach nutzbarer Raum dar, der auch von innen Ausblicke auf die beiden so verschiedenen Stadtteile – aber auch auf die großartige Dolomitenlandschaft – ermöglicht. So wird der Dialog zwischen Innen und Außen, zwischen Kunst und Alltag aufgenommen. Ein Café und der Shop laden zu informellen Begegnungen ein. Den Architekten ist eine zunächst lapidar wirkende aber sehr maßstäbliche Gebäudeform gelungen, die auch mit ihrem durchgängigen Fassadenmaterial aus fein profiliertem Aluminium jede „altstädtische“ oder modische Anbiederung vermeidet. Sie tut sich weder als autistischer Fremdkörper hervor noch löst sie sich von der Umgebung sondern stellt sich wie selbstverständlich hinein in den städtischen Kontext – ja, weist sogar über ihn hinaus. Die differenzierten Innenräume bewahren sich die für wechselnde Ausstellungen notwendige Neutralität. So besteht nicht die Gefahr, wie so häufig bei Museumsbauten, dass das Gehäuse wichtiger wird als der Inhalt. Der sollte aber ohne Diffamierungen zu den Auseinandersetzungen mit geistigen Strömungen führen, deren Niveau das Gebäude bereits vorgibt.

Prof. Andreas Gottlieb Hempel
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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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