Dienstag, 03.02.2009 | Maßstabssprung

Kritisch wird es immer beim Bauen, wenn der Maßstab gewechselt wird, wenn allzu gegensätzliche Gebäude nebeneinander entstehen, wenn Harmonie gestört wird. Wir kennen das etwa aus Gewerbegebieten. Maßstabssprünge können aber auch ganze Landschaften zerstören, nicht nur durch die Gestaltung sondern auch durch die Nut-zung. Das soll hier an einem typischen Beispiel erläutert werden.

Das Eisacktal wird bei Brixen von einer besonderen Mittelgebirgslandschaft begleitet. Auf der westlichen Talseite hat man Menhire gefunden und archäologische Grabungen bei Feldthurns bezeugen hier prähistorische Besiedlung. Aber auch auf der Ostseite, von der nun weiter die Rede sein soll, fanden sich in Gräberfeldern der Laugen-Melaun Kultur Keramikformen der beginnenden Eisenzeit. Auf den endeiszeitlichen Hügelkuppen vermutet man frühe heidnische Opferplätze, die nach der Christianisierung mit Kapellen und Kirchen bebaut wurden, die noch heute mit ihren gotischen Fresken ein einzigartiges kunsthistorisches Ensemble darstellen (St. Johannes d.T. in Karnol, St. Leonhard, St. Johannes Ev. in Mellaun, St. Nikolaus in Klerant und die Pfarrkirche St. Andreas mit der barocken Wallfahrtskapelle Mariahilf in St. Andrä). Zusammen mit den dörflichen Streusiedlungen von St. Leonhard bis Klerant inmitten von Wiesen, Feldern und Streuobstgärten bildet dieser Mittelgebirgszug noch eine fast heile Kulturlandschaft von hoher historischer und ästhetischer Bedeutung. Im Zuge der allmählichen Umwandlung vom Bauerndorf in einen Schlafvorort von Brixen hat nur St. Andrä eine architektonisch weniger erfreuliche Erweiterung nach Norden erfahren. Aber auch diese familiären Wohnbauten fügen sich einigermaßen maßstäblich und funktionell in das schöne Umfeld ein. Das zieht auch viele Gäste mit Sinn für diese typisch südtirolerisch-heitere Landschaft an. Dabei hat sich eine besondere, kleinteilige, gastronomische Ferienkultur entwi-ckelt: Neben einem halben Dutzend kleiner familiengeführter Hotels bieten viele der Bauern Ferienwohnungen an, die von vielen Stammgästen mit ihren Familien geschätzt werden. Die heute so verbreiteten Wellnessanlagen gibt es fast nicht – hier ist die herrliche Mittelgebirgslandschaft mit den tiefen Wäldern und einsamen Wanderwegen immer noch Wellness genug.
Nun bahnt sich leider ein Umschwung an, der als funktioneller Maßstabssprung das Ende der Idylle einleiten könnte. Hoteliers aus dem bereits genügend zersiedel-tem Grödnertal haben ihr geschäftliches Interesse am Bau eines Fünf-Sterne-Hotels mit 200-250 Betten auf einer der schönsten einsamen Rodungsflächen, der Kojawiese, oberhalb von Mellaun angemeldet. Nach anfänglichem Widerstreben sind auch die bäuerlichen Besitzer des Geländes dem verlockenden Kaufpreis erlegen und die Gemeinde hat in der Hoffnung, den Seilbahnbetrieb der Plose zu stabilisieren hier eine Hotelbauzone von rund vier Hektar ausgewiesen. Nur noch der Naturschutz und die Forstbehörde müssen zustimmen, denn für den Hotelbau muss ein Teil des Waldes u.a. für eine Zufahrtsstraße fallen und der Wassermangel bereitet Sorgen. Dennoch, der Bau ist trotz reichlicher Proteste wohl nicht mehr auf-zuhalten. Wo liegt nun der Maßstabssprung?
Zunächst in der Baumasse, die einen Fremdkörper in der lieblichen Kultur-landschaft mit ihrem bisher eigenen kleinteiligen Maßstab bildet und auch von der westlichen Talseite weithin sichtbar sein wird. Dann im gastronomischen Konzept des Fünf-Sterne-Hotels mit allen denkbaren Wellness-Beigaben. Ein völlig anderes Publikum als bisher wird damit angesprochen: wohlhabende Menschen, die Ferien auf einer exklusiven „Insel“ machen und möglichst ungestört bleiben wollen und denen es im Grunde gleichgültig ist, wo sie sich befinden – Hauptsache der versprochene Komfort vom Gourmetmenu bis zur Ayurvedabehandlung stimmt. Diese „Insel“ wird kaum jemand verlassen um etwa in der Seilbahn mit dem gemeinen Volk zu fahren oder im Hofschank zu törggeln. Man hat ja schließlich ¾ Pension. Dieses finanzkräftige Publikum ist „Locations“ wie Gstaad, St. Moritz, Zermatt oder die Karibik gewohnt. Warum sollte es ausgerechnet in die so harmlos wirkende (aber gerade deshalb für andere so anziehende) Mittelgebirgslandschaft unter der Plose kommen? Die geschäftstüchtigen Hoteliers wird es nicht stören wenn der Laden nicht läuft. Dann kann man ja wie andernorts auch das Hotel in „Residences“ umwandeln und diese als Ferienwohnungen verkaufen.
Den Schaden wird dann nicht nur die verbaute Landschaft haben, sondern auch die bisherigen Betreiber vom Urlaub auf dem Bauernhof: schon wollen viele Stammgäste nicht mehr kommen, wenn das Schicki-Micki-Hotel entsteht. Noch glauben die biederen Bauern an das Versprechen der Hoteliers, man werde ihnen die frischen Eier abkaufen (die kommen vom Gesundheitsamt kontrolliert weiterhin von „Gastrofresh“). Noch glauben die Nachbarn an die Zusage der Hoteliers, die bestehende schmale Straße sei völlig ausreichend, man werde einen Shuttledienst zur Seilbahn einrichten – aber welcher Gast besteigt ein Shuttle, wenn er seinen Cayenne am Parkplatz vorführen kann? Noch hat niemand darüber nachgedacht, dass für etwa 150 Hotelmitarbeiter, die wohl aus den Ostländern kommen werden, Wohnungen, Kindergartenplätze u.a. entstehen müssen Alles Maßstabssprünge, die bis zur Ausländerfeindlichkeit gehen werden.
Warum kommentieren wir das so detailliert?
Weil dies kein Einzelfall in Südtirol ist und man sich rechtzeitig darauf besinnen sollte, dass unsere Gäste nicht wegen ausgebauter Straßen, Tunnels und unpersönlich gemanagter Fünf-Sterne-Hotels, nach Südtirol kommen sondern wegen einer einmaligen Landschaft, charakteristischer Gasthöfe und liebenswerter persönlicher Gastgeber, die auf diese Weise immer weniger werden.

Andreas Gottlieb Hempel

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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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