Was ist los mit der Plose?
Der Tourismus hat auf dem Brixner Hausberg so nachgelassen, dass sich die Liftan-lagen nicht mehr rentieren. Hauptursache: mangelndes Hotelbettenangebot – es müssten dringend Hotels gebaut werden. Ist dieser Rückschluss richtig?
Die Plose ist ein wunderschönes Bergmassiv, einsame Wälder, weite Almwiesen und ein umwerfender Panoramablick von den Gipfeln. Von Brixen aus leicht erreichbar, ist es kein Wunder, dass man sich bemühte, diese herrliche Wanderregion auch für den Wintersport zu erschließen.
Auf der Westseite wurde eine der längsten Abfahrten Südtirols durch den Bergwald angelegt, die Trametsch. Sie führte in früheren Jahren bis hinunter nach Milland zur Talstation der Ploseseilbahn, die in St. Andrä eine Umsteigestation hatte, von der es dann hinauf zur Bergstation Kreuztal ging. Von dort konnte man die Sessellifte auf der weitläufigen Südflanke der Plose erreichen. Der herrliche Blick hinüber zu den Geislerspitzen wurde zwar mit einer Südlage erkauft, deren Schnee als erstes von der warmen Märzsonne abgetaut wird. Mit dieser Einschränkung eigentlich ideale Bedingungen für Wintersportferien: abwechslungsreiche Abfahrten in herrlicher Landschaft, unmittelbare Lage an der ältesten Stadt Südtirols, Brixen, in der es alles gibt, von der Kultur bis zum Shopping, mit einem vielfältigen Hotelangebot.
Eigentlich merkwürdig, dass unter diesen Voraussetzungen das Skigebiet der Plose nie so recht ein wirtschaftlicher Erfolg wurde – auch nicht in den Zeiten, als man noch direkt mit den Skiern nach Brixen abfahren konnte.
Dann wurde der Schnee von Winter zu Winter weniger. Eine deutliche Klimaerwär-mung war die Ursache, auch wenn dazwischen immer mal wieder ein schneereicher Winter war. In der Folge wurde das untere Teilstück der Ploseseilbahn abgebaut und dafür die Straße nach St. Andrä ausgebaut. Ein Skibus bringt nun die Skifahrer kos-tenlos zur Talstation einer modern ausgebauten Umlaufbahn oberhalb von St. Andrä.
Dennoch bleiben die Gäste aus. Nicht unbedingt wegen schlechter Schneeverhält-nisse. Südtirol ist inzwischen zum Musterland der Kunstschneebereitung und ge-pflegter Pisten geworden. Selbst in so schneearmen Wintern wie 2006/7 konnte man auf einer weißen Krawatte durch die braune Winterlandschaft die Trametsch bis nach St. Andrä herunterfahren. Mag sein, dass dabei das rechte Wintersportgefühl im tief verschneiten Tann nicht aufkommen konnte. Aber die Abfahrtsfreaks kamen immer-hin auf ihre Kosten.
Weniger dagegen der Liftbetreiber, denn ein Kubikmeter Kunstschnee kostet allein ca. drei Euro elektrische Energie. Einmal abgesehen von den Kosten für die Pisten-pflege - in jenem Winter sollen es allein etwa 180 000 Euro gewesen sein. Dazu kommt noch der Wasserverbrauch in einer der trockensten Gegenden Südtirols: Im Brixner Becken fallen gerade einmal 650 mm Niederschlag, nur der Vinschgau hat weniger (500 mm) – lange wird man sich den Kunstschnee wegen der zu erwarten-den Wasserknappheit im jetzigen Umfang nicht mehr leisten können.
In den Orten des Mittelgebirges um St. Andrä gibt es eine Reihe sehr ordentlicher kleiner Hotels und ein reiches Angebot an Ferienwohnungen auf den Höfen. Es fällt auf, dass viele dieser Betriebe außer zu den Saisonspitzen (Weihnachten und Fa-sching) schließen – nicht mangels Betten sondern wegen fehlender Gäste.
Warum wählen die Skitouristen andere Ziele? Was ist falsch an der Plose?
Bestimmt nicht die fehlenden Betten. Es fehlt vielmehr an einer umfassenden und gemeinsamen Planung des Tourismusvereins für die Plose zusammen mit der Stadt Brixen und der betroffenen Fraktionen um den bisher unkoordinierten Einzelinteres-sen ein ganzheitliches Konzept zu geben – für alle Jahreszeiten! Es fällt auf, dass auf der Plose Einzelinteressen vertreten werden und nicht einmal eine gemeinsame Marketingstrategie wahrgenommen werden kann.
Mit den Liftanlagen fängt es an: Der Abbruch statt der Modernisierung der Liftverbin-dung von Milland nach St. Andrä war ein Kardinalfehler. Wer will schon jeden Morgen mit seinen Skiern an der Bushaltestelle stehen? Wer möchte schon jeden Morgen – wenn er aus Brixen kommt – hinter Bussen und in endloser Schlange sich durch die Kurven nach St. Andrä hoch quälen und dort nach einem Parkplatz suchen wenn er in anderen Skiorten vom Hotel in den Lift einsteigen kann?
Eine Liftanlage zwischen Brixen und St. Andrä könnte als vom Land finanziertes und betriebenes öffentliches Verkehrsmittel modernster Art eine Menge privaten Autover-kehr und die Buslinien ersetzen. Die Skigäste mit Hotel in der Stadt würden einfach und ohne die Emissionen ihrer Fahrzeuge auf die Plose kommen. Die Bewohner von St. Andrä und der benachbarten Dörfer könnten preiswert ohne eigenes Fahrzeug in die Stadt fahren und dort ohne Parkplatzsuche an ihr Ziel gelangen – umweltfreundli-cher könnte der Verkehr zwischen Fraktionen und Stadt kaum noch sein!
Betrachtet man die Liftanlagen, so muss man feststellen, das sowohl die Talstation in St. Andrä als auch die Bergstation Kreuztal wenig anziehend und wenig besucher-freundlich sind. Der Großparkplatz oberhalb St. Andrä ist in Ferienzeiten nicht aus-reichend und viele Skitouristen müssen auf den Parkplatz Mühlwiese in St. Andrä ausweichen wo sie dann auf den Skibus zur Talstation warten müssen. Oder sie stel-len ihre Fahrzeuge entlang der Landesstraße ab, was zu einem weiten Anmarsch und zur Gefährdung des Verkehrs führt – wer das einmal gemacht hat wird sich das nächste Mal ein komfortableres Skigebiet aussuchen.
Der Großparkplatz ist neben seiner mangelhaften Kapazität eine unstrukturierte, vor allem in der schneefreien Zeit besonders unwirtliche und staubige Fläche. Hier ließen sich bei besserer Organisation z.B. mit Bodenmarkierungen mehr Fahrzeuge aufstel-len und zusätzlich Baumreihen anordnen, die in den Blechsee der Fahrzeuge im Sommer ein vermittelndes Grün bringen könnten. Die Hochbauten um die Talstation stellen ein abschreckendes Sammelsurium von Architektur dar, von High-Tech bis zur Pseudo-Almhütte ist alles vertreten. Die Terrasse des Restaurants geht auf den Buswendeplatz und hat den Charme einer Tankstelle. Jeder Gast mit einem Gefühl für angenehme Atmosphäre wird sich mit Grausen wenden wenn er nicht gerade auf den Bus zu warten gezwungen ist.
An der Bergstation sieht es nicht viel gepflegter aus: nur Skifahrer sind hier willkom-men. Winterwanderer oder Schneeschuhläufer haben keine eigenen Wegebeziehun-gen sondern müssen zwangsläufig entlang der Piste zur Straße hinabsteigen. Es sei denn, sie bleiben nur auf den beiden Restaurantterrassen, die mit ihrer unsäglichen und lauten Musikbeschallung jeden sensiblen Naturfreund zu Verzweiflung und sofortigen Umkehr treiben. Entsprechend grölende Massen halten sich dort auf – jeder bekommt die Gäste, die er verdient.
Das gilt auch für das Restaurant Schlemmer an der Talstation des Pfannspitzliftes. Es herrscht die Atmosphäre einer Autobahnraststätte. Wieder lautstarke Musikbe-schallung und Self-Service-Fast-Food-Stimmung mit dem entsprechenden prolligen Publikum, das jedem Südtiroler Gastgeber die Selbstachtung austreiben muss.
Diese kleine Häusergruppe „Skihütte“ könnte eine autofreie Idylle für anspruchsvolle Skigäste sein. Der ungepflegte, matschige Parkplatz mit der Buswendeschleife direkt vor dem Restaurant des Sporthotels, ein fehlendes gemütliches gastronomisches Angebot (nur eine Pizzeria neben dem unsäglichen „Schlemmer“-betrieb) schreckt alle die Gäste ab, die hier – bei entsprechend guter Organisation – ein kleines Ur-laubsparadies vorfinden könnten. Kein Wunder, dass die insgesamt sieben Hotelbau-ten in sog. Residences umgewandelt wurden, deren ständig heruntergelassene Roll-läden die Trostlosigkeit dieser Location noch verstärken.
Dabei könnte „Skihütte“ mit wenigen Maßnahmen in einen wirklich attraktiven Fe-rienort für Anspruchvolle umgewandelt werden. Von hier aus gehen bereits jetzt zwei schöne Winterwanderwege zur Schatzerhütte und zur Rossalm aus. Beide Wege können als Rodelbahnen benutzt werden und so das Angebot für den Wintersport erweitern – aber nur Urlaubsmasochisten würden sich in der jetzigen Situation dort aufhalten wollen.
Das gilt m.E, auch für die benachbarten Hotels Plose, Vallazza und Edith. Auch hier bietet die ungepflegte Umgebung der Straßenschleife mit wildem Parken in der Kurve und am Kreuztallift ein wenig einladendes Chaos – Lärm und Autos direkt vor den Fenstern der Restaurants und Gästezimmer. Wer sollte da bei besseren Angeboten anderswo kommen und – vielleicht als Stammgast! – wiederkommen? Selbst das etwas höher und ruhiger gelegene Hotel „Aurora“, das offenbar gerne von Gästen aus der ehemaligen DDR besucht wird, kann weder im Sommer noch im Winter an-spruchsvollere Gäste überzeugen.
Die Gäste eines Fünf-Sterne- Hotels, wie es die Brüder Sanoner auf der Koja-Wiese planen, werden sich kaum im jetzt angebotenen Niveau der Einrichtungen und Gäste auf der Plose wohlfühlen und keinen Grund haben von den etwa preisgleichen Hotels in St. Anton, Davos, Zermatt und Lenzerheide ausgerechnet an die Plose zu wech-seln, wo es neben den geschilderten touristischen Defiziten nicht einmal genug Schnee gibt und im Sommer die ehemals schönen Almhänge verdrahtet und an den Pisten abgefahren sind. Dieses Hotel wird weder die Auslastung der Lifte verbessern noch das derzeitige niedrige Niveau des touristischen Angebotes erhöhen. Die Gäste dieser Kategorie werden sich dort auf einer „Insel“ befinden und vielmehr über die derzeitige Ausstattung des Plosegebietes negative Mundpropaganda verbreiten.
Was tut also not auf der Plose?
Hier ein 10-Punkte Programm:
01. Eine verbesserte Erreichbarkeit mit einer zusätzlichen Liftverbindung von Milland aus und genügend Parkplätze in gepflegter und gut organisierter Form.
02. Eine grundsätzliche gestalterische und landschaftsplanerische Verbesserung der Situationen und Bauten um die Liftstationen.
03. Die Anbindung von Winterwanderwegen an die Liftstationen. Derzeit bestehen nur zwei Winterwanderwege: zur Rossalm und zur Schatzerhütte.
04. Die Ausweisung mehrerer Rodelbahnen mit Schlittenverleih. Derzeit bietet nur die Rossalm diesen Service für eine Rodelbahn, die nur etwa zur Hälfte befahrbar ist. .
05. Bauliche Verbesserungen an den Liftstationen und sonstigen Einrichtungen in ansprechender gestalterischer Form. Der hübsche Neubau der Rossalm und deren professionelle Führung kann dabei als Beispiel dienen – bis auf die auch hier für offenbar unentbehrlich gehaltene Dauerbeschallung mit „Alpinmusik“.
06. Eine bessere landschaftsgerechte Einbindung der Aufstiegsanlagen vor allem für den Eindruck im Sommer durch Abpflanzung und hüttenartige hölzerne Einhausun-gen der Liftstationen, die jetzt den Eindruck von hier abgestellten, ausgemusterten Bussen machen.
07. Die Erweiterung des touristischen Angebotes z.B. für Drachenflieger, Paragleiter, Winterwanderer, Schneeschuhgeher, sommerliche Themenwege, Natur- und Wild-beobachter mit Unterstände, fachliche Führungen (Geologie, Botanik, Bodenstrah-lung, Fotografie...) usw. – da lässt sich vieles finden.
08. Eine qualitative Verbesserung der bestehenden, meist nicht ausgelasteten Hotel-betriebe in einer gemeinsam gesteuerten Maßnahme unter einem zukunftsfähigen touristischem Konzept, das die Plose zu einem besonderen Ort macht und nicht zu einem Ort unter vielen (oft niveauvolleren!).
09. Kein Neubau von Ferienwohnungen im Zusammenhang mit dem allgemeinen Wohnungsbau – Ferienwohnungen im Privatbesitz entziehen den Gastronomiebe-trieben die Gäste, verteuern die Wohnraumpreis für die Einheimischen und erfordern eine Infrastruktur, die dem Tourismus dann fehlt.
10. Ein umfassendes gemeinschaftliches Tourismuskonzept für die Plose. Zukunfts-weisend wäre es dabei, die Idee des „sanften“ Tourismus aufzunehmen, die bereits in anderen Alpenorten aus Umweltschutzgründen und für eine andere, verständnis-vollere Gästeschicht sich durchzusetzen beginnt. Dabei spielt der Skitourismus nur noch eine bescheidenere Rolle unter verschiedenen, teilweise ungewöhnlichen und neuen, aber immer umweltgerechten Angeboten, Angeboten für die das Bewusstsein unter den Gästen gewachsen ist. Solche Gäste werden nicht zuletzt dazu beitragen, den Südtiroler Gastgebern Identität und Würde bewahren zu helfen.
Mit zusätzlichen Hotelbauten ohne ein ganzheitliches Konzept des künftigen Touris-mus ist der Plose derzeit nicht geholfen. Betten werden nur „gefüllt“ werden können, wenn ein etwas anderes, besonderes Angebot die Gäste veranlasst die Plose als Urlaubsziel zu wählen – wegen eines Hotels allein wird so schnell kein Gast ange-lockt werden, dazu muss die Umgebung und deren Ferienqualität einfach stimmen.
Prof. Andreas Gottlieb Hempel
Brixen, Februar 2008