Zum künftigen Standort der Stadtbibliothek Brixen
- ein beratender Beitrag der Brixner Architektenschaft.
Brixen hat die am besten besuchte Stadtbibliothek der Region. Etwa 500 Leseratten besuchen täglich das Gebäude am Domplatz. Sie drängen sich in einem seit 25 Jah-ren bestehenden Provisorium auf engstem Raum. Eine Erweiterung ist geplant. Aber wo? Die Brixner Architektenschaft möchte dazu mit folgenden Hinweisen beitragen.
Der große Erfolg der Brixner Stadtbibliothek liegt sicher auch an der einmaligen Lage am Domplatz. Hier schlägt das Herz unserer Stadt. Wer Brixen besucht, ob Einhei-mischer oder Gast, wird immer auf den Domplatz gehen. Das ist nicht nur einer der schönsten Plätze Südtirols, es ist vielleicht der beeindruckendste Stadtraum des Lan-des überhaupt. Auf dem Domplatz erschließt sich die Verschränkung der beiden städtischen und historischen Pole Brixens:
die geistliche Stadt mit Pfarrkirche, Dom, ehem. Gericht, Verwaltungsbauten, Hof-burg und Hofgarten sowie - diagonal dazu gegenübergestellt - die Bürgerstadt mit dem Rathaus, Widum, der Stadtbibliothek und stattlichen Wohn- u. Geschäftshäu-sern mit Verbindung zu den großen Lauben.
Es ist ein magischer Platz, von über tausendjähriger Geschichte geprägt und mit ei-ner urbanen Atmosphäre, deren Kraft sich niemand entziehen kann. Ausblicke auf die umliegenden Berge steigern noch die Faszination mit der räumlichen Durchdrin-gung von Stadt und Umland.
Die fünfhundert täglichen Besucher der Stadtbibliothek kommen nicht nur wegen der Bücher hierher sondern wegen mehr. Man verweilt. Eine Kerze im Dom entzünden, Espresso in einem der vier Cafés schlürfen, beim Prosecco schwatzen, im Rathaus etwas erledigen, unter den Lauben einkaufen. Dann in der Stadtbibliothek ein Buch ausleihen und schon mal die ersten Seiten auf den Bänken im Schatten der Bäume lesen, während die Kinder gefahrlos auf dem weiten Domplatz spielen. Hier ergänzen sich die Nutzungen mit den Bedürfnissen der Bürger auf das Beste.
Leider sind Stadtbibliothek und Rathaus die einzigen verbliebenen öffentlichen Nut-zung am Domplatz neben den Kirchen. Die anderen bürgernahen Ämter sind ausge-lagert worden, beträchtliche Kubatur steht inzwischen leer. Wenn auch noch die Stadtbibliothek ausgelagert werden sollte wird es noch weniger sein. Der Domplatz droht zu veröden. Er ist aber die Seele unserer Stadt – es wird keinen zweiten Dom-platz geben, weder am Priel noch anderswo, kein anderer Stadtraum wird jemals diese Kraft und Anziehung ausstrahlen wie der Domplatz.
Die Stadtbibliothek ist derzeit schlecht, beengt und innen räumlich geradezu unwür-dig untergebracht. Die Besucher kommen trotzdem, denn sie wollen an diesem Ort, die Seele der Stadt spüren, sich als ein Teil der Stadt empfinden. Es steht auf einem anderen Blatt, dass Leitung und Mitarbeiter der Stadtbibliothek von einem durch und durch funktionellen Neubau träumen. Aber man kann die Funktionen einer Bibliothek nicht losgelöst vom städtebaulichen Rahmen sehen, der den ersten Rang aller Pla-nungsüberlegungen einnehmen muss und auch für den weiteren Erfolg der Stadtbib-liothek Vorbedingung ist.
Die Seele der Stadt bleibt der Domplatz, dessen Strahlkraft umso mehr verblasst je mehr er ausgeräumt wird, an Funktionen verliert. Aber nicht nur er verliert – auch die Läden unter den Lauben werden Kunden verlieren, mindestens täglich die fünfhun-dert Besucher der Stadtbibliothek, vielleicht sogar noch mehr, nämlich die Begleit-personen, die noch anderes in der Stadtmitte erledigen wollen. Weniger Gäste kom-men in die Cafés und weniger Kinder spielen auf dem Domplatz. Auf den Bänken werden Plätze frei. Auch die Kerzen und Fürbitten im Dom und der Pfarrkirche wer-den weniger werden und der Seele der Stadt fehlen, denn sie lebt auch vom Un-sichtbaren, Geistigen.
Man könne eine moderne Stadtbibliothek nur in einem funktionellen Neubau unter-bringen, meinen die Bibliothekare. Das Gegenteil beweisen viele Bibliotheken, die in bestehenden Altbauten im Zentrum ihrer Städte statt am Rande untergebracht wur-den wo sie zu den erforderlichen Funktionen auch noch die Atmosphäre des Stand-ortes, die Seele, gratis dazu bekamen.
Zum Verbleib der Stadtbibliothek bieten sich am Domplatz drei Möglichkeiten an, de-ren eingehende Untersuchung aus der Sicht der verfügbaren Flächen, der Besitzver-hältnisse, des Denkmalschutzes und des Zeitrahmens empfohlen wird:
· die jetzigen Bibliothek mit Erweiterungsmöglichkeit in das Widum und/oder in den Hinterhof.
· der ehemalige Sitz der Finanzer mit einem schönen Garten als Zugabe,
· das alten Gerichtsgebäude mit Innenhof.
Alle drei sind Baudenkmäler mit geschichtsträchtigen Räumen, in denen man natür-lich auch Bücherregale aufstellen und hübsche Leseräume gut organisiert einrichten kann. Es ist zudem ökonomischer und ökologischer alte Bauten mit neuem Leben zu erfüllen als bislang freie städtische Flächen zu verbauen.
Wir Architekten schlagen deshalb vor, genaue Bauaufnahmen und kunstgeschichtli-che Bewertungen in Absprache mit der Denkmalpflege durchzuführen und als abge-sichertes Material einem Ideenwettbewerb für Architekten zugrunde zu legen. Aufga-be des Wettbewerbes muss es sein, einen der drei Standorte für die Stadtbibliothek zu bestimmen und Vorschläge für die weitere Nutzung der anderen leerstehenden Gebäude anzubieten. Wir sind sicher, dass dann eine Jury mit zahlreichen qualifizier-ten Alternativen eine große Auswahl geboten bekommt.
Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung zum Erhalt und der weiteren Entwicklung der urbanen Qualitäten der Brixner Altstadt - deren Zentrum immer der Domplatz bleiben muss und bleiben wird - steht der finanzielle und zeitliche Aufwand für ein solches Verfahren in keinem Verhältnis zur positiven Vielfalt der angebotenen Aus-wahlmöglichkeiten. Den bisherigen nur überschlägigen Untersuchungen fehlte es an den erforderlichen Grundlagenermittlung und Entwurfsalternativen. Die Brixner Archi-tektenschaft appelliert deshalb an die politisch Verantwortlichen, eine Entscheidung zum Standort der Stadtbibliothek von einem solchen Verfahren abhängig zu machen um zu einem wirklich begründeten Ergebnis zu kommen, das nicht nur die Stadtbib-liothek sondern die gesamte weitere Stadtentwicklung betrifft
Brixen, den…März 2009
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