Samstag, 17.10.2009 | Insel in der Wüste - NET Center Padua

In

sel in der Wüste

Gibt es in Italien so etwas wie Stadtplanung? Möglicherweise auf Papier, Plänen und in vieldiskutierten Absichten. In der Wirklichkeit beherrscht ein Chaos aus politischer und wirtschaftlicher Verfilzung, die langfristige städtebauliche Planung wohl als ärgerliches Hindernis für das schnelle Geld betrachten, das mit Immobilien gemacht werden kann. Dass die Lebensqualität in ehemals schönen Landschaften dabei auf der Strecke bleibt scheint niemanden zu interessieren. Kaum hört oder liest man etwas davon, dass sich jemand darüber aufregt. Schulterzucken – bella Italia, wir haben noch genug davon.

Wenn man aber von etwas genug hat, dann von der Zerstörung Norditaliens entlang der Autobahnen und im Umkreis der schönen alten Städte um deren historische Stadtkerne sich die Denkmalpflege bemüht während die Landschaft drum herum wohl keine Fürsprecher hat. Die Gegend um Padua war vor nicht allzu langer Zeit noch landwirtschaftlich geprägt. Einsame Gehöfte in endlosen Feldern oder Weingärten vor schattenhaften Baumkulissen, Zedern und andere alte Baumriesen deuteten auf Parks mit darin versteckten herrschaftlicher Villen hin – vorbei, verwüstet von den wuchernden Gewerbegebieten einer neuen Wirtschaftsweise. Padua, einer der urbanen Höhepunkte früherer Stadtbaukunst, ist inzwischen auch von einem krebsartig wuchernden Speckgürtel umgeben.

Schon von der Autobahn ist der charakteristisch verdrehte, 80 m hohe Turm des NET Centers von Aurelio Galfetti als Fixpunkt in einer unstrukturierten Zersiedelung auszumachen. Über die Ausfahrt Padova Est gerät man in eine verkehrsdurchfurchte Gewerbesteppe, ein städtebauliches Wildschweingebiet. Die sechspurige Autoflut in Richtung Innenstadt spült den Besucher direkt vor den gesuchten Bau, der sich als eine geschlossene Baugruppe darstellt, als Oase in der umgebenden Wüste. Tatsächlich zeigt sich hier die einzige weit und breit wahrzunehmende Bemühung um ein kleines geordnetes Quartier mit außergewöhnlicher Architektur. Sie hebt sich nicht nur dadurch von der Umgebung ab sondern auch geradezu symbolisch durch eine um anderthalb Meter angehobene Plattform über der darunter angeordneten Tiefgarage.

Auf diesem, mit großen Schieferplatten belegten rechteckigen Sockel im Ausmaß von 1,5 ha gruppieren sich zwei fünfgeschossige Bauzeilen und ein langgestreckter eingeschossiger Pavillon um den 20-geschossigen, schwungvoll verdreht erscheinenden Turm, der ganz eindeutig der architektonische Mittelpunkt ist. Ein Geschäftszentrum mit Büros, einer Ladengalerie, einem Hotel und einem geplanten Restaurant im Pavillon.  Schon 2008 eröffnet scheint es nicht sehr gut zu gehen, der Leerstand von Läden und Büros ist unübersehbar, auch im Hotel gähnende Leere, die Piazza ebenso menschenleer wie die Einkaufsmall in der östlichen Bauzeile. Bisher eigentlich nur ein exzellentes Stück edler Architektur an einem Unort, zwar nah zur Messe Padua aber weitab vom Stadtzentrum – tote Hose. Ob es wohl ein Marketingkonzept vor dem Baubeginn 2001 gab?

Doch zurück zum Glanzstück der Anlage, dem Turm. Die von weiten etwas beliebig verdreht erscheinende Form beruht auf trapezförmigen Grundrissen, deren Schmalseite im Erdgeschoss im Süden liegt und im obersten Geschoss nach Norden gewendet ist. Die Südfassade verbreitert sich also nach oben während sich die Nordfassade nach oben verjüngt und die beiden anderen Seiten dadurch eine ganz regelmäßig erscheinende Verdrehung erfahren. Ein innenliegender Erschließungskern dient der Aussteifung zusammen mit acht in den Seitenfassaden schräg verlaufenden Stützen. Kern und Decken sind aus Beton, Stützen und Fassaden dagegen sind eine Stahlkonstruktion mit dreifacher Fassadenabstufung je Geschoss in den Seitenfassaden um so die Verdrehung aufzunehmen. Der dreifachen Abstufung je Geschoss folgen die rot lackierten horizontalen Sonnenschutzlamellen, die das eigentliche Gestaltungselement der Ost- Süd- und Westfassaden ist, die Nordfassade geht dagegen etwas langweiliger leer aus.

Der Sonnenschutz scheint für die gesamte Baugruppe ein Hauptthema zu sein. Die beiden flankierenden Bauzeilen haben im Gegensatz zum Turm geschosshohe senkrechte Sonnenschutzelemente aus gelochten Aluminiumelementen, die je nach Sonnenstand elektronisch gesteuert werden. Sie überspielen die dahinterliegenden geschosshohen Glasfassaden, die mit der Helligkeit und Transparenz der von oben belichteten Ladenpassage überzeugen – ergänzt durch die elegante Konstruktion des gebäudehohen structural glazing an den Schmalseiten. Dieser Bau wurde für seinen intelligenten Einsatz von Stahl, die klare Formensprache und seine Transparenz von der Jury des ECCS Steel Design Award 2007 ausgezeichnet.

Den eigentlichen gestalterischen Schwung in das an sich eher trocken-rechtwinklige Layout der silbergrau und schwarz gehaltenen Gesamtanlage bringt die Drehung des „roten“ Turms – eine ganz besondere, über das Quartier hinauswirkende Dynamik entsteht, die schon von weitem einen zentrierenden Anziehungspunkt in der städtebaulichen Ödnis der Umgebung bildet. Ein „Topos“ ist entstanden.


Andreas Gottlieb Hempel

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Bauherr: NET-Center Padova Immobiliare
Architekten: Aurelio Galfetti, Carola Barchi, Luciano Sciavon
Statik: Alessandro Arvalli, Eros Furlan, Marco Pizzeghello
Innenarchitektur Hotel: Marco Piva, Franzina + Partners
Bauunternehmen: Edilbasso
Stahlbau: Pichler
Daten:
32.000 m² Grundfläche
40.000 m² Geschossfläche über Gelände
38.000 m² Geschossfläche unter Gelände
Planungs- u. Bauzeit: 2001-2008


 



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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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