Alt und Neu - Baukultur für Reisende
Auf Reisen interessieren wir uns für die Baukultur der Region, die wir besuchen. Sagt doch die Baukunst viel darüber aus, in welcher Tradition und mit welchem Selbstverständnis die Menschen dort leben. Gerade Südtirol kann auf unzählige Baudenkmäler aller Jahrhunderte zurückblicken. Aber es gibt auch eine moderne Baukultur, die den Besucher mit eigenständiger Qualität überrascht. Hier möchten wir Ihnen eine kleine Auswahl bieten:
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Das Museion in Bozen bietet nicht nur ausgewählte Höhepunkte der internationalen modernen Kunstszene sondern ist auch ein städtebauliches und architektonisches Meisterwerk. Zwei elegant geschwungene Brücken verbinden die Stadtteile diesseits und jenseits der Talfer mit dem nach beiden Seiten sich öffnenden silbrigen Bau, der das Verbindende der Kunst für die dort lebenden Sprachgruppen symbolisiert.
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In unmittelbarer Nähe bietet die Europäische Akademie Veranstaltungen zum Thema des Zusammenlebens der Kulturen im Alpenraum. Wie sich die deutschen und italienischen Baukulturkreise bestens ineinander fügen können, zeigt der Umbau eines Gebäudes des razionalismo von Miozzo u. Mansutti 1934 durch den österreichischen Architekten Klaus Kada 2002 in der transparenten Architektursprache unserer Zeit.
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Ein Erlebnis ist die Pfarrkirche Leifers. Hier bilden moderne Erweiterung und Bauteile der Romanik und Neugotik ein spannendes Ensemble. Außen zeichnet der Anbau die Linien der Berge nach. Innen verunsichert er die Eintretenden durch die schwingenden Linien von Boden, Wänden und Decke – nur das Kreuz bietet rechtwinkligen Halt. Die raffinierte Lichtführung lässt das Holz des Raumes golden leuchten.
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Den „verzauberten Berg“ nennt Reinhold Messner die größte Burgruine Südtirols in die er 2005 das Messner Mountain Museum einfügen ließ. Die geschichtsträchtigen Mauern – hier rief Silvius Magnago 1957 sein „Los von Trient“ – wurden nur gesichert. Die Einbauten sind dagegen aus korrodierendem Stahl und so hineingestellt, dass sie jederzeit wieder entfernt werden könnten – ein Baukunstwerk für sich!
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Der Ritten ist die traditionelle Sommerfrische der Bozner, die ihn bereits ab 1907 mit einer Zahnradbahn erreichen konnten. 2009 hat ein neues Seilbahnsystem mit acht Kabinen für je 35 Personen die Verbindung im Vier-Minuten-Takt übernommen. In 12 min erreicht man Oberbozen. Neben der Bergstation fällt das im Jugendstil 1908 erbaute Parkhotel Holzner auf – eine sensibel modern ergänzte Sommerfrische.
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Ebenfalls eine Alternative zum Auto ist die Standseilbahn von 1903, die in 12 min mit 64% Steigung von Kaltern aus den Mendelpass erreicht. Sie wurde 2008 renoviert und die modernen Wagons halten nun auch auf der Streckenmitte um den Kalterer Höhenweg gut erreichen zu können. Oben auf dem Pass ist noch ein Grand-Hotel der k.u.k Monarchie zu bewundern, das allerdings in Wohnungen umgewandelt wurde.
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Südtirols Weinbau hat sich in den letzten zwanzig Jahren von der Masse zur Klasse gewandelt und erhält zahlreiche Auszeichnungen. Das gilt auch für die neue Architektur einiger Kellereien, von denen hier der Umbau der Kellerei Tramin – berühmt für ihren Gewürztraminer – vorgestellt wird. Die außergewöhnliche Stahlkonstruktion wird 2010 eingeweiht und ein Wahrzeichen am Ortseingang von Tramin sein.
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Aus dem 16. Jht. stammt der Stroblhof in Eppan. Immer wieder wurde das weithin bekannte Hotel und Weingut feinfühlig umgebaut. Wellnessanlagen und moderne Kellerei verschwanden fast unsichtbar im Gelände, Altes mischt sich gelungen mit Neuem. Ein biologisch geklärter Badeteich liegt an dem 4 ha. großen Weinberg. Gekeltert werden 40 000 Flaschen Spitzenwein, die den Aufenthalt noch mehr verklären.
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Zunächst ist man erstaunt, dass am wärmsten und saubersten See des Alpenraumes, dem Kalterersee, ein Freibad gebaut wurde. Durch die außergewöhnliche und plastische, über das Gelände erhöhte Architektur ist es aber ein großer Publikumserfolg geworden. Wie von einem Schiffsdeck erlebt man schwimmend geradezu abgehoben die umgebende Reblandschaft, den spiegelnden See und die Berge. Etwas Besonderes!
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Wer in guter Architektur ungestört zwischen Weinbergen, Obstbäumen, Wiese, Schilf und dem See seine Ferien verbringen möchte, der ist im Seehotel Ambach bestens aufgehoben. Man kann es kaum glauben, dass diese zeitlos moderne Architektur schon 1974 gebaut wurde – so frisch und makellos wirkt sie! Der Blick vom See auf das Hotel ist fast ebenso schön wie die Aussicht von der Sonnenterrasse des Hauses.
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Mitten im Weindorf Kaltern liegt der behäbige historische Gasthof Stern. Nach einem sorgfältigen Umbau bietet er seit 2009 nicht nur äußerst geschmackvoll eingerichtete Zimmer, bei denen historisches Flair mit modernem Design bestens harmonieren und eine hochelegante Vinothek im Obergeschoss sondern auch eine gelungene Wellnessanlage in einem ruhigen Gartenbereich mit Blick über die Dächer Kalterns.
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Nobel residieren am Waltherplatz mitten in Bozen: im Hotel Greif. Die Atmosphäre des Gasthofs aus dem 15. Jht. wurde durch den Umbau von Architekt Boris Podrecca in der Moderne unserer Tage bewahrt. Jeder der 33 Räume bietet eine unterschiedliche Einrichtung von verschiedenen Künstlern und die Bar Grifoncino hat geradezu internationales Flair. Speisen im Park des benachbarten Grand-Hotels Laurin.
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Das Sarntal ist noch ein ursprüngliches Naturparadies, das man als Gast gut im Hotel Bad Schörgau erleben kann. „Tradition und Zeitgeist“ ist das Motto der Gastgeberfamilie Wenter, die nicht nur eine Haubenküche führt sondern auch die Tradition der alten „Bauernbadl“ neuzeitlich fortsetzt. Dem entspricht der geradezu baukünstlerische Umbau des Hauses, das sich harmonisch in die Landschaft einfügt.
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Seit 1890 nimmt der Zirmerhof Gäste auf, darunter viel Prominenz. Absolute Ruhe, Höhensonne und das Panorama von über 80 Dreitausendern. Aber auch eine traditionelle bäuerliche Architektur mit alten Stuben, historischem Speisesaal und sorgfältiger Modernisierung, die nichts von der ursprünglichen Atmosphäre stört. Besonders gelungen ist der Wellnessbereich unter dem Hügel aber zur Aussicht geöffnet.
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Fazit: Die baukünstlerische Verbindung von Alt und Neu ist die besondere Stärke der herausragenden Südtiroler Architekten, die mit viel Kreativität und Gespür für die jeweilige Situation der Verkitschung durch angeblich „tirolerische“ Dekorationen hochqualifizierte Alternativen entgegensetzen.
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Kurzes CV:
Andreas Gottlieb Hempel
Jahrgang 1941, Architekturprofessor, Journalist, Buchautor und Sommelier. Nach 30 Jahren als freischaffender Architekt in München und Berlin, Präsident des Bundes Deutscher Architekten, Vorsitzender des Deutschen Architekturzentrums, Berlin und Vizepräsident der Internationalen Architektenunion, Paris, zog er sich 2003 nach Südtirol zurück und schreibt über seine Wahlheimat. Erschienen sind bis jetzt:
Südtirols schönste Hotels (2005 und 2009), Vinschgau in einem Zug (2006), Erlebnis Eisacktal (2008), Culturonda Südtirol (2008) im Folio Verlag Bozen und Architektur in Südtirol (2008) im Callwey Verlag München.