Samstag, 17.10.2009 | Francisci oppidum Rede

Francisci oppidum

Ein feste Burg – nie genutzt.

 

Die Franzensfeste.

Zum Beginn ein Gedicht von Christine Mathà.

 

Bizarre Verflechtung von Schatten und Licht

in den endlosen Gängen

Für zeitlose Märsche aller Schattenfiguren

 

Einst waren es Tausend und wieder Tausend

und wieder Tausend

zum Sterben bereit für Kaiser und Vaterland

 

Jetzt singt nur der Wind sein verwirrendes Lied

von Sinn und Vergehen

der unfassbaren Zeit.

 

Südtirol verfügt am Zusammentreffen von Wipptal, Eisacktal und Pustertal über ein wenig bekanntes Bauwerk, die Franzensfeste. 30 km südlich des Brennerpass gelegen, ist sie heute noch das größte Bauwerk Tirols, die größte Festung des Alpenraums. 1838 erbaut und einer der größten Festungsbauten überhaupt. Mit 20 Hektar Fläche hat Francisci oppidum wirklich die Ausmaße und Anmutung einer kleinen Stadt. Wuchtige und funktionale Bauten aus Granit, spannende Innenräume in denen 20 Millionen Ziegelsteine – in unmittelbarer Nähe gebrannt – verbaut wurden. Im wahrsten Sinne atemberaubende Aufstiege – der längste mit 461 Stufen – und ebenso atemberaubende Ausblicke in die drei Täler, deren Zugänge mit den Erfahrungen der napoleonischen Kriege geschützt werden sollten. Ein schon damals anachronistischer Versuch in der sich schnell wandelnden Kriegstechnik. Niemals konnte sich das gigantische Bauwerk im Krieg bewähren. Lediglich ein Probebeschuss 1860 durch die eigene k.u.k. Artillerie zeigte danach die völlige Unversehrtheit der meterdicken Granitmauern. Auch im an baulichen Attraktionen so reichen Südtirol ist die Franzensfeste eine außergewöhnliche Besonderheit und wert, hier im vierten Kongress der Baukultur mit Backstein zum Thema „Festungsbauen“ vorgestellt zu werden.

 

Soweit ein knapper Steckbrief.

 

Dieser Steckbrief wäre jedoch unvollständig, wenn wir nicht auch von der Faszination sprechen würden, der Faszination der Aura des Unerforschten. Der riesenhafte Bau ist die letzte historische Anlage Südtirols, einer Region mit über hundert Burgen, der bisher noch nicht umfassend untersucht und analysiert werden konnte. Seit ihrem Bau bestimmte das Militär der Österreich-ungarischen Monarchie, ab 1918 das des faschistischen Italiens, von 1943-45 die Deutsche Wehrmacht und schließlich wieder das NATO-Mitgliedes Italien die Geschicke der Festung.

 

Die Franzensfeste erlebte – glücklicherweise, möchte man sagen – nie ihre Feuertaufe in kriegerischen Auseinandersetzungen und wurde von der reinen Verteidigungsanlage zum Lager für Munition, Sprengstoff und Waffen. Ebendiese Nutzung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis Ende 2001 verlieh ihr aus Sicherheitsgründen den Mythos der Unnahbarkeit. Bis zum Schluss war sie militärisches Sperrgebiet, es war verboten sie zu fotografieren oder zu gar zu besichtigen. Alle Soldaten und Offiziere unterlagen der Schweigpflicht, keinerlei Informationen über die Vorgänge innerhalb des Komplexes drangen nach außen. Nicht einmal die Offiziere der Alpinibrigade „Tridentina“, welche die Festung und ihre Sprengstofflager verwalteten, hatten freien Zutritt sondern unterlagen einem komplexen Erkennungsprotokoll. Tatsächlich hätten Sabotage oder ein Unfall nicht nur die Anlage sondern auch den mit ihr seit 1941 verbundenen Staudamm gefährdet. Ein Dammbruch hätte dramatische Folgen für das Tal und die nahe Stadt Brixen gehabt.

 

Die Neugier wurde aber nicht nur durch die Aura des Verbotenen geweckt sondern auch durch Ereignisse am Ende des Zweiten Weltkrieges. 1943 ließ Mussolini die Goldreserven der Banca d’Italia – etwa 127 000 Tonnen Feingold – in die Festung bringen. Von seinem Diebstahl hatte er jedoch nicht lange etwas, denn das Gold wurde von den Nazis beschlagnahmt und teilweise in die Schweiz und nach Berlin geschafft. Beim Einmarsch der Amerikaner fanden sich noch rund 25 000 Tonnen vor, die dem italienischen Staat später zurückgegeben wurden. Zur natürlichen Faszination der Festung kamen somit noch Gerüchte über möglicherweise immer noch verborgene Goldschätze, an denen sich sogar der argentinische Diktator Juan Peron bereichert haben soll, ehemals Mitglied der Brigade „Tridentina“ und enger Freund des Großmeisters der italienischen Geheimloge P1, Licio Gelli, der sich mehrfach in der Festung aufgehalten hatte und in dessen Privathaus bei einer Razzia Goldbarren in Geranientöpfen versteckt gefunden wurden – briganti, ladri, criminali, also Diebe, Hehler und Verbrecher unter sich!

 

Nach dem Abzug des italienischen Heeres aus Südtirol im Rahmen des zweiten Autonomievertrages Anfang der 1990er Jahre stand die Festung leer. Aber die bürokratischen Hürden zur Übergabe schienen unüberwindlich. Dennoch gelang am 2. Mai 2005 der Durchbruch: die Festung wurde zunächst der Gemeinde Franzensfeste und dann dem Land Südtirol für kulturelle Nutzungen übergeben. Es folgten Aufräumarbeiten, Dokumentationen und schließlich eine Monografie, auf die auch dieser Vortrag zurückgreift. Inzwischen haben mehrere große Ausstellungen in der Franzensfeste stattgefunden. Derzeit läuft noch bis zum 30. Oktober die große Südtiroler Landesausstellung mit dem Titel „Freiheit – Libertà“, mit sehr gut gemachten Installationen zu diesem dem Zwangscharakter der Festung entgegengesetzten Thema. Konsequenterweise mit freiem Eintritt. 50 000 Besucher konnten so seit Mai diesen Jahres die einst unzugänglichen Festung besuchen.

 

Nun zur Geschichte:

 

Die Festung wurde auf einem Felsplateau über der Eisackschlucht zwischen Wipptal und Eisacktal geplant, einem Platz, über den nach prähistorischen Funden schon in uralten Zeiten die „Bernsteinstraße“ von der Ostsee über den Brenner nach Italien führte. Feldherr Drusus kam 15 n.C. mit seinen Truppen hier durch, zur Eroberung der keltischen Gebiete – aus dieser Zeit stammen Münz- und Gräberfunde beim Bau der Festungsanlage. Anlass für die Planung der Festung waren die umwälzenden Veränderungen in Europa durch die napoleonischen Kriege. Napoleon hatte die bis dahin wenig dynamische Kriegführung radikal verändert. Mit mächtigen Heeren aus zehntausenden von Männern, die sich mit leichtem Gepäck und logistisch geführt unterwegs plündernd von allem ernährten was sie vorfanden, errang er gegen die mit schwerfälligen Strategien von adeligen Offizierkorps geführten traditionellen Heere seine Blitzsiege. Napoleon führte nicht nur siegreiche Schlachten sondern plünderte und annektiere auf bisher noch nicht da gewesene Weise alles, was er vorfand. Gleichzeitig verbreitete er die Gedanken der Französischen Revolution, welche die monarchistische Ordnung in Europa grundsätzlich in Frage stellten.

 

Nach dem Sieg über Napoleon wurde im Wiener Kongress von November 1814 bis Juni 1815 die restaurative Neuordnung zwischen den fünf großen europäischen Mächten, Russland, England, Österreich, Preußen und Frankreich getroffen – die Wiederherstellung des Absolutismus. Aber nicht nur die geografisch-politische Neuordnung war das Ziel – es ging auch um Machterhaltung, Ruhe und Ordnung im Interesse der herrschenden Schichten im Inneren. Es wurde so etwas wie ein Solidaritätsprinzip gegen drohende Revolutionen von Innen und Außen geschaffen. Von Metternich stammt dazu der Satz:

 

„Dieselben revolutionären Prinzipien, welche die letzte kriminelle Machtübernahme durch Napoleon unterstützt haben könnte Frankreich in anderer Form erneut erschüttern und den Frieden der anderen Staaten gefährden.“

 

Die neuen Grenzen und der Machterhalt  wurden zunehmend durch eine Reihe von Festungen gesichert, die nach Konzepten der „neudeutschen“ bzw. „neuösterreichischen“ Schule geplant wurden - entwickelt im Umfeld der Militärakademien und errichtet entlang des Rheins, der Donau und in Oberitalien.

So begann man im Jahr 1830 im Königreich Lombardo-Veneto mit dem Bau des Festungsvierecks (Quadrilatero) Verona-Peschiera-Mantua-Legnago. Dazu kam die Idee, zwei der wichtigsten Zugangswege Österreichs, die Brennerstraße und das Pustertal durch eine Festung zu sichern. Diese Festung, die spätere Franzensfeste, sollte in nur fünf Jahren bis 1838, fertiggestellt werden, lange noch vor den Bauwerken des Quadrilatero.

 

Den Gründungsimpuls für den Bau der Franzensfeste lieferte der mit erst 20 Jahren zum Oberbefehlshaber der österreichischen Truppen ernannte Erzherzog Johann von Österreich, Sohn des Großherzogs Leopold von Toskana, dem späteren Kaiser Leopold II. Erzherzog Johann liebte Südtirol und kannte es wie seine Westentasche. Er heiratete eine bürgerliche Postmeisterstochter und liegt in Schenna bei Meran begraben. Ihm war auch die Stelle im Wipptal bei Grasstein bekannt, der heutigen Sachsenklemme, wo Andreas Hofer mit einer Handvoll Tiroler Landesverteidiger 1809 die übermächtige Allianz französisch-sächsischer Truppen unter General Lefebvre vernichtend schlug. An dieser Stelle, an der verschiedene Einfälle französischer Truppen stattgefunden hatten, sollte nach den Vorstellungen des Erzherzogs die neue Festung entstehen. Der Auftrag zur Planung erging an Franz von Scholl, Befehlshaber der österreichischen Truppen in Verona und ein vortrefflicher Festungsplaner.

 

Nach genauer Recogniszierung der benachbarten Bergpässe durch Oberstleutnant Karl von Martony, als Ingenieur des Geniekorps ein Vertreter der „neuösterreichischen Schule“ und Bauleiter der Gesamtmaßnahme sollte die Festung nach den neuesten Erkenntnissen an der Brennerstraße gebaut werden. Diese war der einzig ganzjährig gangbare Weg für Truppenbewegungen. Vorbilder waren die Festungen in Ulm und Mainz, die ebenfalls den klassizistischen Baustil den Prinzipien des Barock und Rokoko vorzogen. Linear und einfach gestaltete Bauwerke mit mächtigen Verteidigungsbollwerken, die solide Rückzugsräume (Reduits) für logistische Zwecke und den Kern des Bauwerks enthielten. Die Gefechtsräume zum Schutz der Soldaten an den Kanonen und Gewehren mussten zudem „bombensicher“ sein und auch eine offensive Verteidigung ermöglichen. Die Franzensfeste stellt bis ins Detail ein glänzendes Beispiel all dieser Anforderungen dar. Sogar die nachträglich errichtete Kapelle am Waffenplatz der unteren Festung des Talwerks wurde im neugotischen Stil als bombenfester Bunker ausgeführt.

 

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gehörte das Gebiet der Franzensfeste zur nördlich gelegenen Gemeinde Mittewald, der heutige Ort Franzensfeste entstand erst durch den Festungsbau. Das enge schattige Tal war nur mit ein paar Höfen dünn besiedelt. Auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde befanden sich die kleinen Dörfer Oberau und Unterau, das 1939-41 in den Fluten des Stausees verschwand. Die Granitbank, auf der die Festung gebaut wurde, zwang den Fluss Eisack zu einer ausholenden Windung. Er hat sich dort fast 80 Meter tief darunter eingegraben. Die Brennerstraße gabelte sich hier Richtung Pustertal und Brixen. Die für die Festung ausgewählte Stelle ermöglichte also die Kontrolle beider wichtigen Wegstrecken. Die zum Bau benötigten Materialien waren ebenfalls vorhanden: Granit aus den benachbarten Steinbrüchen bei Grasstein, der sich aber als zu weich für die Außenbefestigungen erwies und deshalb durch Lieferungen aus den Brüchen im weiter entfernten Pfunderer Tal ergänzt wurde, das Riggertal zu Füßen des Granitvorsprungs lieferte den Ton und die Wälder rundum das Brennmaterial für die Ziegel, der Eisack das Wasser, die Mühlen und Öfen in Meransen den Kalk, der ebenfalls dort vorkam.

 

1832 wurde beauftragte Erzherzog Johann den General Franz von Scholl mit der Planung der Festung entsprechend zu den Bauten des „Quadrilatero“. Scholls Entwurf sah drei Ebenen vor. Sie waren als drei unabhängige Einheiten vorgesehen: das Talwerk, der erhöhte Mittelbau und die obere „Akropolis“ nach antikem Vorbild als der letzte Teil für einen möglichen Rückzug, der gleichzeitig die Talebene kontrollierte. Für die Anlage war eine Bestückung mit 77 schweren Geschützen vorgesehen. Die Festung wurde in Rekordzeit gebaut: Von der Einweihung durch den neuen Kaiser Ferdinand, einen Bruder des Erzherzog Johann, bis zur Einweihung durch seinen Nachfolger Franz I. vergingen nur fünf Jahre. Die Festung hätte auch in drei Jahren stehen können, wenn nicht Finanzierungsprobleme eine Verzögerung verursacht hätten.

 

Die Auswirkungen der Bauzeit auf das nur spärlich besiedelte Tal waren enorm. Die 4500 Arbeiter übertrafen an Zahl die Bevölkerung der benachbarten Stadt Brixen, der damals schon drittgrößten Stadt Südtirols um 1000 Personen. Alle diese Menschen wollten versorgt sein und zogen noch eine zusätzliche Schar an: Händler, Handwerker, Prostituierte und viele andere bevölkerten die Großbaustelle auf der es 1721 spezialisierte Arbeiter von Sprengstoffexperten bis zu Steinmetzen aus Genua gab, die das damals sehr kostspielige Material Granit zu behauen wussten. In kürzester Zeit entstand eine kleine Stadt aus Holzbaracken mit Kanalisierung und Wasserversorgung über Holzrinnen, Wäschereien, Gasthäusern, Geschäften, öffentlichen Bädern und Gemeinschaftsküchen für 72 000 Gulden, was etwa 500 000 Euro entspricht, Besonders schwierig erwies sich die Verwaltung und Koordination einer derartigen Menge von Arbeitern aus  unterschiedlichsten Regionen, Sprachen und Nationen – es war ein wahres Mosaik der Habsburger Monarchie, die ja in gewisser Weise die EU des 19. Jahrhunderts war. Je 200 Personen unterstanden einem Offizier, die ihren Vorgesetzten täglich berichteten nach dem System der Pyramide, an dessen Spitze Karl von Martony mit seinen engsten Mitarbeitern stand. Zahlreiche Unfälle und Erkrankungen und eine Choleraepidemie 1832 forderten vieleTodesopfer, die in einem Massengrab bei Brixen beigesetzt wurden. Die hygienischen Verhältnisse waren teilweise katastrophal, in Brixen wurde deshalb eine „Festungsapotheke“ eingerichtet.

 

Die entstehende Anlage wurde weder ein Schloss noch eine Kaserne sondern ein komplexes Verteidigungssystem ohne Schnörkel, die als Polygonalsystem der Schule Montalemberts aus dem 18. Jahrhundert folgte. Sie gliederte sich in dreizehn autonome Verteidigungsblöcke und erscheint auf den ersten Blick sehr komplex und wenig einheitlich – eben um feindliche Angreifer zu verwirren. Selbst bei einer Einnahme von Teilen der Anlage blieb das Widerstandspotenzial hoch. Angreifer, die das Talwerk und die mittlere Festung erobert hätten, wären durch die obere Festung unter Beschuss geraten – diese ist von dort nur über einen Tunnel mit 451 Stufen über 75 Höhenmeter mit der unteren Festung verbunden. Beide Festungsteile haben monumentale Eingänge mit 18 Tonnen schweren Granitquadern und jeweils einen weiteren Vorhof. Die Schießscharten haben die Besonderheit verschiedener Schusswinkel deren Gesamtheit einen Schussradius vom Inneren des Gebäudes aus von 360 Grad.

 

Die untere, mittlere und obere Festung wurden also so geplant, dass sie unabhängig voneinander bestehen konnten obwohl sie eng miteinander verbunden sind. Es fällt auf, dass diese drei Bereiche wiederum in kleinere Einheiten aufgeteilt sind mit der Möglichkeit des raschen Übergangs und bestmöglicher Übersicht von einem Teil zum anderen. Zusätzlich wurde das Bauwerk dem Terrain und der Umgebung im Sinn fexibler Verteidigung und beweglicher Aktionen angepasst. Dabei konnten mit wenigen Soldaten etwaige Eindringlinge im Nahkampf mit Bajonetten, Säbeln und Totschlägern in Schach gehalten werden. Die Grundprinzipien aller drei Festungsteile waren: Plattformen für die Kanonen, autonome innere Unterteilungen, Küchen und Latrinen, unterirdische Gänge und sichere Rundgänge für die Gewehrschützen zu den Verteidigungsmauern. Eine große zentrale Küche und weitläufige Räumlichkeiten konnten jeweils die ganze Garnison aufnehmen.

 

Die enormen Kosten der Anlage belasteten die damals leeren Kassen der k.u.k Monarchie und wurden von den höchsten Amtsträgern unter Franz I als übertrieben bezeichnet. Der Bau verschlang alles in allem 2,6 Millionen Gulden, was etwa 400 bis 500 Millionen Euro entspricht. Der Planer Franz von Scholl musste sich deshalb am Tag der Einweihung, dem 18. August 1838, von seiner Majestät die Frage gefallen lassen, ob denn der Bau ganz aus Silber bestünde. An den Kosten scheiterte dann auch eine geplante Erweiterung, der sich als Festungskoloss nördlich von Oberau bis östlich über Mühlbach erstreckt hätte – ein völlig utopischer Plan, der schon durch die sich wandelnde Militärtechnik überholt worden wäre.

 

Aber noch einmal zurück zur Materialbeschaffung:

 

Für die 20 Millionen Ziegelsteine zur Realisierung der Gewölbe und Dachziegel wurden 900.000 cbm Ton in der nächsten Umgebung abgebaut und in zwei Öfen gebrannt. Die Ziegel wurden mit den drei Buchstaben KKF (Königlich-Kaiserliche Festung) gekennzeichnet. Holz war im Überfluss vorhanden. Trotz der gewaltigen Abholzung im Baustellengebiet war die Festung bei ihrer Einweihung immer noch von einem dichten Fichtenwald umgeben. Mit Fichtenholz wurden alle Gerüste, Rampen und Gehsteige hergestellt. Das wertvolle Lärchenholz dagegen wurde gesammelt, zur Trocknung gelagert und für die Dachbalken und Böden der Räume auch unter den schweren Kanonen verwendet. Aufgrund seiner guten Qualität sieht es noch heute, nach fast 180 Jahren noch so aus, als sei es erst kürzlich verbaut worden. Das Brennholz stammte nicht nur aus den Wäldern sondern auch aus dem Flussbett, wo es während der häufigen Hochwasser angeschwemmt wurde. Bis zum Abschluss der Arbeiten wurden 297.000 Laufmeter Holz verwendet – also fast 300 Kilometer. Der Wasserkalkmörtel wurde aus dem 30km entfernten Bruneck herangeschafft und der Branntkalk aus dem noch weiter entfernten St. Vigil im Gadertal machten den Bau einer neuen Verbindungsstraße erforderlich – 190 Kubikmeter Kalk wurden herantransportiert.

 

Besondere Erwähnung verdient der Granit, damals einer der teuersten Baustoffe. Der Granit aus dem Pfunderer Bergwerk und aus Pfalzen wurde von Sprengstoffexperten und Steinmetzen, die in Pfalzen untergebracht waren zu Blöcken in drei Größenordnungen zugerichtet: 130x35x47 / 63x 20x 47 und 66x60x47 cm – also immer mit einer Seitenlänge von 47 cm. Dies erlaubte eine gewisse Standardisierung. Noch heute ist die genaue Präzision der Fugen zu bewundern. Diese Qualität wurde aus Kostengründen auf die Außenmauern, Portale und Fensterlaibungen beschränkt. Im Innenbereich wurde auf den Granit des Baugrundes und der benachbarten Brüche in Grasstein zurückgegriffen, diese Blöcke wurden nur grob zugehauen und mit Splittersteinen verfugt.

 

Die Transportprobleme wurden mit 200 Paaren von Zugpferden und ebenso vielen Karren gelöst, die Transportgeschwindigkeit wurde auf 2,2 km/h festgelegt. Transportiert wurde eine Durchschnittslast von 600 kg was 587 Fahrten in den 5 Jahren der Bauzeit notwendig machte.

 

Die Festung wurde schließlich mit 90 Geschützen bestückt, darunter sechs- sieben- zwölf- achtzehn- und Dreißigpfünder. Sie wurden in Batterien angeordnet, die aus Räumen bestanden, welche sich zu den Schießscharten hin verengten. Darüber waren kaminartige Öffnungen für den Rauchabzug beim Abfeuern angeordnet. Auf der gegenüberliegenden Seite sorgten Fenster für eine gute Querlüftung in die Abzugshauben. Im Kriegsfall konnte die Festung eine Garnison von 1.000 Mann aufnehmen, in Friedenszeiten genügten 70 Soldaten für Betrieb und Überwachung dieser Festung, die nie direkten Kriegshandlungen ausgesetzt war.

 

Zweimal jedoch wurde die Stabilität der Anlage unter Beweis gestellt:

 

Einmal 1862 als dreizehn 24-pfündige Artilleriegeschosse gegen die äußere Befestigungsmauer abgefeuert wurden und ein andermal 1896 mit einem Beschuss aus den damals modernsten Geschützen – auch diese hatten keine Chance gegen den harten Granit aus Pfalzen. Die Waffen der Bauepoche waren Feldgeschütze aber auch Kanonen größeren Kalibers, die fest angebracht wurden. Die Rohre waren aus Bronze und Granaten hatten die Kugeln aus Granit abgelöst. Der innere Drall der Kanonenrohre war noch nicht bekannt, er wurde für größere Reichweiten und höhere Präzision zusammen mit zylindrischen Geschossen erst 1870 in Schlachten eingeführt in denen die Preußen über Frankreich siegten.

 

Die Gewehre waren noch Vorderlader und bei Regen und Feuchtigkeit unbrauchbar. Erst 1840 wurde der Feuerstein durch eine Kupferkapsel mit Knallquecksilber und schließlich durch Patronen ersetzt. Erst um 1900 tauchten Repetiergewehre auf und 1884 erfand der Amerikaner Maxim das Maschinengewehr. Zur Zeit des Festungsbaus bestand die Bewaffnung der Soldaten aus einem Vorderlader mit Bajonett, Säbel und Totschläger für den Nahkampf sowie Lanzen für die berittenen Kämpfer. Üblich waren Blankwaffen im Kampf nach starren Protokollen und Prozeduren – das Wort „Schlacht“ hatte seine blutige Berechtigung im Kampf von Mann zu Mann.

 

In späteren Jahren kam es zu zahlreichen Umbauten, zunächst als Pulver- u. Munitionsdepot. Die einschneidensten Umbauten kamen durch die Eisenbahn. 1867 wurde die Brennerbahn fertiggestellt und schon 1871 wurde die Bahnlinie im Pustertal gebaut, die durch die Festung selbst mit einem eigenen inneren Militärbahnhof geführt wurde und dann die Schlucht des Eisack mit der damals höchsten Eisenbahnbrücke Europas überquerte – die „hohe Brücke von Aicha“ lag mit ihren Geleisen 80 m über dem Fluss und wurde auf unzähligen Postkarten dargestellt. In den Jahren 1939/41 wurde auf Wunsch Mussolinis der Stausee für die Elektrifizierung der Brennerbahnstrecke gebaut und Teile der Festung verschwanden mit dem Nordwestzugang im Wasser. Schließlich wurde 1965 die Brennerautobahn A22 neben der Staatsstraße und der Bahnstrecke gebaut. Die Straße musste tiefergelegt und die Autobahn teilweise darüber geführt werden. Das brachte es mit sich, dass der Teil der Festung, der am sichersten und besten ausgestattet war zum teil abgetragen werden musste. Schließlich ließ das italienische Militär Schießscharten zumauern und riesige Granitblöcke wegnehmen um die Einfahrt von Militärfahrzeugen zu erleichtern. Die Statuen der k.u.k Generäle Radetzky und Hess wurden von den Sockeln neben der Kapelle vom italienischen Militär entfernt und sind verschollen.

 

Trotz allem fasziniert der Bau auch heute noch.. Er dokumentiert auf anschauliche geradezu unheimliche Weise den rasch überholten Unsinn gigantischer Rüstungsmaßnahmen und deren horrende Kosten. Heute, wo es der Menschheit möglich ist sich atomar selber zusammen mit unserem schönen blauen Planeten zu vernichten mutet die Befestigungsanlage der Franzensfeste geradezu absurd und surreal an – ein Denkmal ingeniöser menschlicher Unvernunft. Ein feste Burg im Zeitalter der Bombenteppiche, sinnlos, schon gar keinen Schutz gegen eine Hiroshimabombe bietend oder gar gegen die tausendmal vervielfachte Vernichtungskraft der modernsten Waffen mit denen sich die Menschen heute nach dem Leben trachten – abhängig von Machthabern,  die nur einen Knopfdruck dazu benötigen.

 

Wir wünschen diesen modernen Waffen, dass sie ebenso wenig zum Einsatz kommen wie die feste Burg von Franzensfeste.

 

Ein feste Burg ist unser Gott

Ein gute Wehr und Waffen

 

...dichtete Paul Gerhard und dabei sollte es auch bitte bleiben.

 

Gehalten anlässlich des 4. Backsteinkongresses in Wismar, September 2009

von

 

Andreas Gottlieb Hempel

Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist



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