Samstag, 17.10.2009 | Der Brixner Domplatz

Der Brixner Domplatz - Rückzug der Bürgerstadt?

In den vergangenen Jahren haben zahlreiche öffentliche Nutzungen ihren Sitz vom Domplatz verlegt. Nun will auch die Stadtbibliothek weg. Was bleibt vom Leben der Bürgerstadt?

Am Domplatz schlägt das Herz der Stadt. Wer Brixen besucht, ob Einheimischer o-der Gast, wird immer auf den Domplatz gehen. Es ist nicht nur einer der schönsten Plätze Südtirols, es ist vielleicht der beeindruckendste Stadtraum des Landes über-haupt. Auf dem Domplatz erschließt sich die Verschränkung der beiden städtischen und historischen Pole Brixens: die geistliche Stadt und die Bürgerstadt. Es ist ein Platz magischer Anziehung, von über tausendjähriger Geschichte geprägt und mit einer urbanen Atmosphäre, deren Kraft sich niemand entziehen kann. Ausblicke auf die umliegenden Berge steigern noch die Faszination mit der räumlichen Durchdrin-gung von Stadt und Umland.

„Eine erfolgreiche Stadtbibliothek in bisher einmalig zentraler Lage“

Brixen hat die meistbesuchte Stadtbibliothek der Region. Etwa 500 Leseratten besu-chen täglich das Gebäude am Domplatz. Die Besucher der Stadtbibliothek kommen nicht nur wegen der Bücher hierher sondern wegen mehr. Man verweilt. Eine Kerze im Dom entzünden, Espresso in einem der vier Cafés schlürfen, beim Prosecco schwatzen, im Rathaus etwas erledigen, unter den Lauben einkaufen. Dann in der Stadtbibliothek ein Buch ausleihen und schon mal die ersten Seiten auf den Bänken im Schatten der Bäume lesen, während die Kinder gefahrlos auf dem weiten Dom-platz spielen. Hier ergänzen sich die Nutzungen mit den Bedürfnissen der Bürger auf das Beste. Die beengten räumlichen Verhältnisse in der Stadtbibliothek sind dage-gen weniger anziehend, weshalb eine Verlegung der Stadtbibliothek geplant ist. Die Besucher kommen trotzdem, denn sie wollen an diesem Ort, die Seele der Stadt spü-ren, sich als ein Teil der Stadt empfinden. Es steht auf einem anderen Blatt, dass Leitung und Mitarbeiter der Stadtbibliothek von einem durch und durch funktionellen Neubau träumen - leider an einem Unort der Stadt, der Rückseite der Aquarena.. Aber man kann die Funktionen einer Bibliothek nicht losgelöst vom städtebaulichen Rahmen sehen., der auch für den weiteren Erfolg der Stadtbibliothek Vorbedingung ist.

„Der Domplatz muss attraktive öffentliche Nutzungen behalten“

Stadtbibliothek und Rathaus sind neben den Kirchen die einzig verbliebenen öffentli-chen Nutzungen am Domplatz. Anderen Ämter sind ausgelagert worden, beträchtli-che Kubatur steht inzwischen leer. Wenn auch noch die Stadtbibliothek fehlen sollte wird es noch weniger sein. Der Domplatz droht zu veröden. Er ist aber die Seele Stadt – es wird keinen zweiten vergleichbaren Platz geben, weder an der Aquarena noch anderswo, kein anderer Stadtraum wird diese Anziehung bieten. Die Strahlkraft des Domplatzes aber verblasst je mehr er an Funktionen einbüßt. Aber nicht nur er – auch die Läden unter den Lauben werden Kunden verlieren, mindestens täglich die fünfhundert Besucher der Stadtbibliothek, vielleicht sogar noch mehr, nämlich die Begleitpersonen, die noch anderes in der Stadtmitte erledigen wollen. Weniger Gäste kommen in die Cafés und weniger Kinder spielen auf dem Domplatz. Auf den Bänken werden Plätze frei. Auch die Kerzen und Fürbitten im Dom und der Pfarrkirche wer-den weniger werden und der Seele der Stadt fehlen, denn sie lebt auch vom Un-sichtbaren, Geistigen.

Man könne eine moderne Stadtbibliothek nur in einem funktionellen Neubau unter-bringen, meinen die Bibliothekare. Das Gegenteil beweisen viele Bibliotheken, die in bestehenden Altbauten im Zentrum ihrer Städte statt am Rande untergebracht wur-den wo sie zu den erforderlichen Funktionen auch noch die Atmosphäre des Stand-ortes gratis dazu bekamen. Am Domplatz bietet sich jedoch eine Möglichkeiten für die Stadtbibliothek an, die derzeit von den Brixner Architekten in einer Gemein-schaftsaktion untersucht wird. Es ist der ehemalige Sitz der Guardia di Finanza in Verbindung mit dem ehemaligen Gerichtsgebäude und dem angrenzenden Garten.

„Ein beispielhafter Vorschlag engagierter Bürger und Fachleute“

Die Architekten schlagen genaue Bauaufnahme und kunstgeschichtliche Bewertung des Standortes vor um eine Schemastruktur als Material für einen Ideenwettbewerb zu entwickeln. Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung urbaner Qualitäten der Brixner Altstadt - deren Zentrum immer der Domplatz bleiben wird - steht der finan-zielle und zeitliche Aufwand für ein solches Verfahren in keinem Verhältnis zur Viel-falt der damit angebotenen Auswahlmöglichkeiten. Den bisherigen nur überschlägi-gen Untersuchungen fehlte es an genauer Grundlagenermittlung und Entwurfsalter-nativen. Die Brixner Architektenschaft hat deshalb an die politisch Verantwortlichen appelliert, eine Entscheidung zum Standort der Stadtbibliothek von einem solchen Verfahren abhängig zu machen um zu einem wirklich begründeten Ergebnis zu kommen, das nicht nur die Stadtbibliothek sondern die gesamte weitere Altstadtent-wicklung betrifft. Bürgermeister Albert Pürgstaller hat diesem Vorschlag Zeit bis zum September eingeräumt. Dann werden die Architekten einen Schemaentwurf für die Unterbringungsmöglichkeit der zukünftigen Stadtbibliothek vorlegen, der sowohl mit der Denkmalpflege, der Stadtplanung, den Kaufleuten und den Bibliothekaren disku-tiert sein wird – ein beispielhaftes demokratisches Verfahren zur Baukultur am Brix-ner Domplatz.

Andreas Gottlieb Hempel

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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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