Sonntag, 18.10.2009 | Architektur auf Reisen

Architektur auf Reisen

Von der Reise zurück wollen wir nicht über Gestalt und Ungestalt, die uns unterwegs in den Hotels begegnet sind, nachdenken sondern über Funktion und Service, die uns im Ferienalltag eigentlich das Leben erleichtern sollten.

Wir wollen das Thema Gestaltung nicht vertiefen. Manche Hoteliers schwören darauf, dass ihre Gäste türmchenbekrönte Tiroler Lederhosenarchitektur wollen. Andere weisen darauf hin, dass ihre Haus wegen der coolen Designereinrichtung eines Weltstars unter den Architekten so beliebt ist. Mag sein. Sicher ist, dass manche Buchung schon über die Bildchen im Internet getroffen wird. Verliebte Paare räkeln sich da mit roter Rose und Proseccoflasche auf einem üppigen Doppelbett. Bildhübsche Models halten im Wellnessbereich Handtücher über das, was man eigentlich gerne sehen würde. Reizende Väter tollen mit den lieben und immer fröhlichen Kleinen auf buntem Spielmobiliar. Und die Sonne lacht dazu, im Winter über meterhohem Schnee, im Sommer über ständig blühenden Wiesen. Und dann die Küche – da läuft einem das Wasser im Munde zusammen vor den ganztellergroßen Aufnahmen von Scampi & Co.

Der erste Eindruck entscheidet

Da kommt der Architekt also an vor dem Haus seiner Wahl. Halteverbot vor dem Hoteleingang, der Parkplatz an der Küchenanlieferung ist von den Autos der Mitarbeiter besetzt. Es würde aber auch niemand den Schlag öffnen, selbst wenn man in einem frisch gewaschenen Porsche Cayenne vorführe. Also Parken hoffentlich noch irgendwo in Sichtweite und Kofferschleppen. Da hilft einem schon lange niemand mehr. An der Rezeption empfängt ein verschüchtertes Mädchen. Ihr Gruß lautet: „Bitte sähr - hier ausfillen!“. Über die Koffer gebeugt und von der Umhängetasche behindert nach der Brille fingern – wie war doch die Passnummer?. Mit einer Plastikkarte in einem Pappumschlag auf dem „Herzlich Willkommen“ steht werden die Gäste vollbepackt losgeschickt – das nachgerufene „gäht gutt so?“ nehmen sie nicht so ernst, denn schon stehen die Nächsten am Empfang.

Den Gast richtig einschätzen!

Das Paar findet den engen Lift und fährt zweimal wegen des Gepäcks und ein drittes Mal nach unten weil sich die Tür nicht mit der Karte öffnen lässt. „Ah ja, nonich eingeställt.“. Innen dudelt der Fernseher – immerhin ist diesmal der Name auf dem Bildschirm richtig geschrieben, herzlicher elektronischer Empfang. Sein Blick fällt auf das vorgelagerte Flachdach der Küche mit dem Lüftungsaggregat. Der nächste Blick gilt dem Bett. Eine tiefe Rinne zwischen zwei getrennten Matratzen wird für Sitte und Anstand sorgen. Sie hat inzwischen das Bad inspiziert. Es ist braun gefliest, die Sanitärgegenstände sind orange – beste 1960er Jahre. Wieder herunter zur Rezeption. Dort herrscht inzwischen die Chefin mit großer Freundlichkeit. Selbstverständlich, ein anderes Zimmer, nach vorne heraus mit schönem Blick und neu eingerichtet. Bitte sehr!

Design oder nicht Design ist hier die Frage

Tatsächlich, alles vom Feinsten. Der Architekt lässt sich nicht vom Teppich mit den blauen Sternchen und dem Mahagoni des Mobiliars irritieren, er prüft die Funktionen. Wohin mit dem Koffer, der geöffnet den doppelten Platz benötigt? Das Klappbänkchen ist dazu ungeeignet, es bleibt nur das Bett. King-Size diesmal. Wohin mit dem Mantel? Die spießigen Garderobehaken wurden wegdesignt. Im Schrank finden sich diebstahlsichere Bügel, deren Widerhaken man in eine Metalllasche fummeln muss. Es ist dunkel im Schrank, dreimal fällt der Bügel mit Mantel herunter. Der Architekt installiert seinen Laptop an der Elektroleiste nachdem er Mappen mit Reklamebroschüren und den Ständer mit der Anzeige für Erotikfilme verräumt hat und unterzieht sich einem Crash-Kurs in Informatik für den Anschluss.

Das Bad ist fast am wichtigsten

Der Dame fehlen Ablageflächen im Bad für ihre Beautybox und seinen Kulturbeutel. Der Föhn ist für Linkshänder angebracht und als Luftschlauchtyp ebenfalls diebstahlsicher. Die Strahler leuchten den Waschtisch zwar gut aus lassen das Gesicht aber im Dunkeln. Bidet? Fehlanzeige (wir sind in Deutschland). In der Duschkabine fehlt die Ablage, dafür gibt es einen Seifenspender mit miefig-rosa Gel und die modische Regenbrause aus der zunächst Kaltwasser überrascht. Die Handtücher – diesmal nicht aus Wabenstoff sondern aus feinstem Frottée – türmen sich auf einem Plastikhocker über zwei Bademänteln. Die kann man an der Rezeption kaufen, teilt der Spiegelaufkleber mit und es wird gebeten die Handtücher mehrfach zu nutzen und erst dann auf den Boden zu werfen – es geht aber nicht anders, denn Haken gibt es auch hier nicht und der Röhrenheizkörper zum Handtuchtrocknen bleibt im Sommer kalt.

Bequem ist es wenn es funktioniert.

Auf dem Tisch steht eine Schale mit Obst, der Apfel hat die Konsistenz von nassem Styropor, die Trauben sind knackhart und die Erdbeere schmeckt nach Kohlrabi. Erinnerungen an das Paar vom Internet mit der Proseccoflasche. Die steht als Piccolo in der Minibar für den Preis einer Magnumflasche im Getränkemarkt. Die mitgebrachte Sektflasche passt dort nicht herein. Das kann ja ein gemütlicher Abend werden! An Lesen ist nicht zu denken, die Designerlampen lassen sich nicht über das Buch schwenken werden aber zum Fingerverbrennen glühheiß. Gut, dann eben Fernsehen, der Flachbildschirm ist riesig. Es gibt eine Sendung über neue Hotels in Südtirol. Lauter strahlende Gäste sind da zu sehen. Alles paletti.

Andreas Gottlieb Hempel

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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
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