Dienstag, 08.12.2009 | Sehen Hinsehen Wegsehen

Sehen – Hinsehen – Wegsehen

Wir wollen Baukultur sehen. Etwas zum Hinsehen. Das Wegsehen aber haben wir uns angewöhnt im unkultivierten Alltag des Bauens. Für Hässlichkeiten sind wir wohl nicht sensibilisiert – sonst würden wir uns mehr dagegen wehren.

Die Diskussion um Baukultur dreht sich nur um einen kleinen Ausschnitt des Baugeschehens unserer Tage. Architekturzeitschriften veröffentlichen auf Hochglanzpapier nur Feinstes aus dem Olymp der Stararchitekten. Weltweit sind die Großen an ihrem Stil erkennbar - wer etwa Frank Gehry bestellt, bekommt auch Frank Gehry, ganz gleich wo immer.

Es gibt wenig gute regionale Architektur
Regionales hat schon weniger Konjunktur. Meist wird hier bereits auf Trinkstärke verdünnt nachgeahmt, was die Meister auf globaler Ebene abgeliefert haben. Wahre Originalität, die aus den Strukturen des Umfeldes oder gar der Atmosphäre des Ortes entwickelt wurde, besitzt Seltenheitswert. Jedes anspruchsvollere Einfamilienhaus möchte heute Weltarchitektur sein und bläht sich gern in vermeintlicher Unverwechselbarkeit auf Kosten einer vielleicht noch traditionellen Alltagsarchitektur der Nachbarschaft. Zurückhaltung, Bescheidenheit bei aller Qualität des Details, maßstäbliche Einfügung und Authentizität des Ortes sucht man oft vergeblich. Aber es gibt sie, man muss nur genauer hinsehen. Dennoch: Wahre Architektur ist in der Minderzahl, das meiste, was entsteht ist nur Gebautes oder nur noch Bauschaden – auch im weiteren Sinne des Schadens für die Landschaft, die Umgebung, den Kontext. In diesem Sinne haben sich leider in den letzten Jahren in Südtirol die Täler gefüllt, wurden die Hänge zersiedelt und die alten Dorfkerne zerstört. Immerhin, es gibt gute und sehr gute Ausnahmen.

Vom baulichen Unrat ist die Rede
Dazwischen aber wuselt es von baulichem Unrat, keine eigentlichen Gebäude, eher Zutaten, Möblierung. Da geht es von abgelagertem Baumaterial über hässliche Papierkörbe zu Schildern, die so angebracht wurden, dass sie ganze Fassaden verschandeln. Alltägliche Dinge, deren Hässlichkeit wir nicht einmal mehr sehen, wo wir nicht zweimal mehr hinsehen, so gleichgültig sind sie uns geworden, über die wir – wenn es ganz schlimm wird – hinwegsehen. Da kann man nix machen, das ist eben so. Unvermeidlich eben.

Fehlt es hier an Sensibiliät?
Da gibt es eine Kapelle im Ahrntal (Abb.1) romantisch in der Wiese neben einem Bauernhof, ein kleines Juwel. Aber wer sind denn die unsensiblen Barbaren, die irgendwelche Hinweisschilder davor nageln und einen grünen Müllcontainer dazu gesellen?
Auf dem Tschögglberg tritt der Wanderer aus dem Wald und trifft auf das Gerippe eines gelben Baukrans (Abb.2), der dort, mitten auf dem Feld bis zum nächsten Einsatz zwischengelagert wird – geht das so ohne weiteres?
Ein Dorf im Pustertal empfängt seine Gäste am Ortseingang mit Baustofflagern und Schienengewirr (Abb.3) – eine Baumreihe längs der Straße würde mildernd wirken. Aber da kommt wohl keiner drauf.
Der müde Wanderer im Mittelgebirge des Eisacktales trifft auf eine Ruhebank (Abb. 4), die vor Zyklopenmauerwerk zwischen Briefkasten und Straßeneinmündung geradezu halsbrecherisch balanciert.
Auf der anderen Talseite wurde ein Kapellchen rundum asphaltiert (Abb.5), eine Insel der Gläubigen in der Buswendeschleife.
Wie so eine gemütliche Baushaltestelle garniert wird zeigt Abbildung 6. Und ganz groß raus kommen die Müllcontainer vor dem Rosengarten (großes Bild).

Alles nicht so schlimm?
Sie werden sagen, dass dies doch gar nicht so schlimm sei, man sieht es doch kaum. Eben. Wir sehen darüber weg. Wir sehen da nicht mehr hin. Wir verlernen überhaupt mehr und mehr zu sehen, weil wir ständig überschwemmt werden mit solch optischer Umweltverschmutzung, gegen die nur noch Wegsehen schützt. Dabei sind diese wenigen Beispiele weder die Schlimmsten noch die Einzigen. Jeder findet sie vor seiner Haustür. Geht denn die Sensibilität für solche einfach zu ändernden Zustände ganz verloren? Wir wollen es nicht hoffen, schließlich ist Südtirol ein Tourismusziel, da lohnt es sich doch schon mal aufzuräumen.

Im neuen Jahr dann wieder Positives von der Baukultur. Versprochen!

 



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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
Otto von Guggenberg Str. 46   I-39042 Brixen (BZ)   Italien
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