Mittwoch, 30.12.2009 | ...dafür gehe ich meilenweit!

Baukultur Januar 2010

...dafür gehe ich meilenweit!

Wer nach Südtirol fährt, erwartet neben der traditionellen Gastfreundschaft die Dolomiten, eine Kulturlandschaft und eine reiche Baugeschichte. Es erwarten ihn aber auch technische Baudenkmäler wie die erste Seilbahn der Welt, die Brennerbahn, epochemachende Wasserkraftwerke und Erfindungen, die aus der Not einer einst armen Bergbevölkerung entstanden sind. Dass diese technischen Denkmäler gewürdigt werden können, verdanken wir dem Kuratorium für Technische Kulturgüter in Bozen. Schon vor Beginn der Reise nach Südtirol kann der an technischen Kulturgütern Interessierte sich im Internet informieren:

Das Technikmuseum
Unter www.technikmuseum.it trifft der Besucher auf ein gut gemachtes virtuelles Museum, wo er sich auf einem Bildschirmrundgang über Eisenbahnen und Bergbahnen, Kraftwerke und Architektur, Ingenieurbauten, Bergbau und Kommunikation (Druckmaschinen, TV-Umsetzer und Phototechnik) bis hin zu den Pionieren der Technik – wie Peter Mitterhofer, den Erfinder der Schreibmaschine oder Max Valier, den Forscher der Raumfahrt – informieren kann. Über fast alles, was in der kleinen Region Südtirol erfunden, geplant und umgesetzt wurde gibt es Angaben.

Not macht einfallsreich
Vor dem Bau der Straßen, die heute fast jede Alm erreichen, war Südtirol als Bergland unwegsam. Manche Dörfer oder Höfe waren den ganzen Winter abgeschlossenen. Der Vinschgau, obwohl früher die „Kornkammer“ Südtirols galt als das Armenhaus Tirols und bekam erst mit dem Bau der Vinschgerbahn und den damit verbundenen Exportmöglichkeiten Anschluss an Wohlstand und Tourismus. Mobilität und Energie waren zwei Chancen für das Land, die durch den Bau der Bahnen und Elektrizitätswerke verwirklicht werden konnten. In Kardaun wurde 1901 das erste Wasserkraftwerk gebaut und nach Kohlern hinauf baute der Gastronom Josef Staffler 1908 die erste Seilbahn der Welt. Gerade die Schwierigkeiten der Erschließung und Versorgung forderten den Einfallsreichtum der Südtiroler heraus und setzten eine erstaunliches Kreativität frei, so dass Südtirol in der Geschichte der Technik eine bedeutende Rolle spielte.

Technische Denkmäler?
Baudenkmäler wie Kirchen, Burgen und Ansitze werden wie selbstverständlich als Denkmale behandelt und dauerhaft geschützt. Anders ist es mit technischen Denkmälern – nichts scheint so alt wie der Fortschritt von gestern, dessen Maschinen und Bauten möglichst rasch der neuesten Entwicklung zu weichen haben – hier gilt nicht der Gedanke des Bewahrens und Erinnerns sondern nur des Wirtschaftens, der ständigen Veränderung. Alle Bemühungen des Schutzes sind eigentlich gegen die Dynamik des Fortschritts gerichtet. Warum also ein Kuratorium zur Erhaltung technischer Kulturgüter?

Erhalten statt Ersetzen
Der nächsten Generation sollte das Erlebnis historischer Technik schon deshalb anschaulich gemacht werden um auch die Chancen der weiteren Nutzung, die Möglichkeit zur Umnutzung oder sogar der Wiederentdeckung längst vergessener einfacher Systeme zu ermöglichen. Wer weiß denn, wie dankbar eine spätere Zeit für die Wiederaufnahme bereits aufgegebener Produktions- und Konstruktionsmethoden sein wird, die direkt sinnlich erfahrbar waren und nicht nur ihren Nutzen kaum nachvollziehbar und anonym entfalten. Dazu kommt, dass die technischen Kulturgüter der Vergangenheit auch Teile einer besonderen Baukultur waren. Wer heutige Gewerbegebiete betrachtet, weiß wovon die Rede ist. Die Bahnhöfe in Südtirol des 19. Jh. etwa wurden nach einheitlicher Systematik gebaut. Sie strahlen dennoch eine individuelle Atmosphäre aus. Oder die Bauwerke der Kraftwerke: sie sind in ihrer architektonischen Gestaltung meilenweit von den gesichtslosen Gewerbekisten unserer Zeit entfernt. Alles das gilt es als Zeugnisse einer technischen Baukultur zu erhalten und neu zu nutzen. Im übrigen geben sie Zeugnis von einem innovativen Gestaltungswillen der für die neuen Bauaufgaben entwickelt wurde und von dem wir nur lernen können.

Die Technikmeilen
Der Reisende nach Südtirol muss sich nicht auf das virtuelle Erinnern beschränken. Immer noch gibt es genügend Zeugnisse einer vergangenen technischen Baukultur. Man muss sie nur zu finden wissen. Auch hier hat sich das Kuratorium für Technische Kulturgüter verdient gemacht: Es gibt z.B. einen Radführer, der den aufmerksam radelnden Besucher auf dem hervorragenden Radwegenetz Südtirols zu über 50 Schauplätzen der Technik führt. Diese „Technikmeile Südtirol“ führt vom Brenner nach Salurn und vom Reschen nach Toblach. Die entlang der Routen bezeichneten technischen Kulturgüter sind alle sehenswert.

Veranstaltungen und Veröffentlichungen
Südtirol und seine technische Kulturgüter verdanken der Fantasie, Arbeitswut und Fachkenntnis Wittfrida Mitterers viel – nicht zuletzt schöne, themenbezogene Bücher und regelmäßige Veranstaltungen anlässlich der Vorstellung von Projekten, die auf Veranlassung des Kuratoriums renoviert, umgenutzt und wieder zugänglich gemacht wurden oder ein Jubiläum begehen. Hut ab vor diesem Engagement für Baukultur!

Andreas Gottlieb Hempel

 



:: Home :: Impressum :: Sitemap

15.01.2020
Häuser des Jahres

15.01.2020
Die Bozner Freiheitsstraße

Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
Otto von Guggenberg Str. 46   I-39042 Brixen (BZ)   Italien
Tel Studio 0039-0472-836317   mobil 0039-349-7969334
privat 0039-0472-679076   e-mail info@agh.bz
Seite drucken Webseite zu den Favoriten hinzufügen