Dienstag, 16.11.2010 | Dolomiten Baukultur Oktober 2010

Dolomiten Baukultur Oktober 2010

Margreid – dörfliche Baukultur

Baukultur kann es überall dort geben wo geplant und gebaut wird und Architektur nicht nur als Wirtschaftsgut sondern auch als kulturelle Aufgabe gesehen wird - nicht nur im städtischen sondern auch im ländlichen Raum. Es müssen nur die richtigen Leute mit dem rechten Verständnis zusammen wirken.

Eine Idylle
Eine Fahrt in Sachen Baukultur nach Margreid im Südtiroler Unterland lohnt sich – nicht nur für Interessierte, die auf der Suche nach guter moderner Architektur sind. Man entdeckt den fast verschlafen wirkenden Ort an der südlichen Weinstraße am besten zu Fuß und ist von der gut erhaltenen, fast urbanen Dichte des Dorfes entzückt. Kein maßstabloser Gewerbekasten, kein aufgeblähtes Einkaufszentrum stören eine dörfliche Idylle wie man sie im bauwütigen Südtirol kaum noch findet. Doch der Eindruck musealen Stillstandes trügt.

Alltagsarchitektur
Zunächst entdeckt man Alltagsarchitektur von guter Qualität. Am Ende der Dorfstraße, schräg gegenüber der Kreuzwegkapelle findet sich eine Wohnanlage, deren Straßenfassade den Eindruck erweckt, als habe sie schon immer dort im Kontext mit den historischen Gebäuden des Dorfkerns gestanden. Gleiches gilt für die gut renovierte Schule in unmittelbarer Nähe, die mit einem maßstäblichen Anbau und einem gut gestalteten Platz ergänzt wurde.

Das Weingut Lageder
Gegenüber, jenseits des Fennbaches, öffnet sich das Tor zum Weingut Löwengang, wo Alois Lageder 1996 sich von den Architekten Abram & Schnabel eine moderne Erweiterung bauen ließ, die nicht nur funktionell zu den besten Weinkellereien gehört sondern selbstbewusst als moderne Baukunst neben den Gebäuden des alten Ansitzes steht. Sie hat einen hohen Maßstab für gute moderne Architektur in Margreid gesetzt. 2009 ließ Alois Lageder das alte Stallgebäude des Ansitzes Hirschprunn am Dorfplatz von den Architekten Katja und Gerold Schneider zur Vinothek Paradeis umbauen. Dabei wurden die schönen alten Gewölbe erhalten, weiß verputzt und mit einer Einrichtung aus hellem Holz, teils bunten Möbeln, Edelstahl und modernen Gemälden eingerichtet. Die Vinothek ist vom Dorfplatz mit dem großen Lindenbaum zugänglich und hat einen verträumten Gartenhof. Am Dorfplatz findet sich die kürzlich umgebaute Vinothek der Kellerei Nals-Magreid mit einer klassisch wirkenden modernen Einrichtung aus dunklem Holz und das Dorfgasthaus mit angehobener Terrasse, von der man das Leben auf dem Dorfplatz beobachten kann. Noch schöner wäre das ohne die parkenden Autos in dem von schönen Fassaden umgebenen und geschlossen wirkenden Platzraum.

Zwei Perlen für den Weingenuss
Im Rathaus wurde vom Brixner Architekten Gerd Bergmeister eine Trinkstube im Kellergewölbe eingebaut. Sie ist bemerkenswert, weil der Architekt das Mauerwerk freigelegt und den neuen Ausbau aus hellem Eichenholz wie eine Möblierung hinein gestellt hat - von den Mauern losgelöst. Selbst die hölzernen Trittstufen in die Tiefe des Kellers sind nur auf die alten Steine aufgelegt. So steht das gut erhaltene Alte gegen eine klare Moderne.
An der Weinstraße, südlich des alten Ortskernes trifft man auf den Weinhof Kobler.
Armin Kobler, der Winzer, ist gleichzeitig der Baureferent von Margreid und ging – was hohe Architekturqualität betrifft – beim Einbau eines Verkaufs- und Verkostungsraumes in das väterliche Weingut mit gutem Beispiel voran. Einen ganz in weiß gehaltenen Raumkubus ließ er von den jungen Architekten Lukas Mayr und Theodor Gallmetzer in den Altbau so hinein schieben, dass ein Stück des neuen Bauteils als überdeckte Terrasse noch hinausragt. Die Terrasse kann durch eine raumhohe, versenkbare Glasscheibe räumlich einbezogen werden. Der Innenraum ist bis hin zur selbst entworfenen Beleuchtung durch sorgfältig ausgearbeitete Details charakterisiert – beste moderne Architektur in der Nussschale!

Die Feuerwehr im Fels
Erst kürzlich hat das Dorf Margreid ein weiteres architektonisches Highlight erhalten, das durch sein bauliche Prinzip weit über Margreid hinaus von Bedeutung sein könnte. Das Architektenpaar Gerd Bergmeister und Michaela Wolf hat die Fahrzeughallen und die technischen Räume des Neubaus für die Freiwillige Feuerwehr Margreid in eine senkrechte Felswand hinein geschoben. Vor die drei Tunnelröhren der Räume im Fels mit zement-torkretierten Wandoberflächen ist eine leicht geneigte und elegant geschwungene Betonscheibe gestellt worden. Aus ihr ragt eine zweigeschossige Stahl-Glas-Konstruktion für die Räume mit Tageslichtbeleuchtung heraus. Eine intelligente Lösung gerade für großräumliche Bauten, etwa Gewerbe- oder Lagerflächen, die sonst den Maßstab eines Dorfes zu sprengen drohen. Das Einbauen in den Berg – auch das Weingut Manincor in Kaltern hat es perfekt vorgemacht – sollte künftig mehr in Betracht gezogen werden. Die Landschaft könnte so viel öfter von großen „Kisten“ verschont bleiben und die Räume im Fels profitieren von einer gleich bleibenden Temperatur. Hier hat Margreid neue Wege beschritten – nicht nur mit moderner Architektur vom Feinsten!

Andreas Gottlieb Hempel



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Andreas Gottlieb Hempel
Prof. Dipl.-Ing. Architekt & Publizist
Otto von Guggenberg Str. 46   I-39042 Brixen (BZ)   Italien
Tel Studio 0039-0472-836317   mobil 0039-349-7969334
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